Stress – Friedrichshafen Technologiezentrum – 10.00 Uhr, am nächsten Morgen, 10.Teil, Kapitel I

Im  Veranstaltungsraum  des  Technologiezentrums  hatte  um  9. 00  Uhr  eine  Informationsveranstaltung  für  interessierte  Firmen,  welche  sich  ansiedeln  sollten,  begonnen.   Der  Wirschaftsförderer  schaute  entgeistert,  als immer  mehr  nicht  angemeldete  Gesichter  den  für  max.   50  Personen  ausgelegten  Raum  stürmten  – alle  halbwegs  kreativen  Köpfe,  welche  Kaminski  telefonisch  mobilisieren  konnte. Kaminski  kam  selbst  erst,  als der Raum  hoffnungslos  überfüllt  war.   „Alle,  die  ich  nicht  eingeladen  habe  bitte  raus,  dies  ist  eine  Sache  der  nationalen  Sicherheit. “

Der  Wirtschaftsförderer  kannte  die  Gerüchte,  dass  Kaminski  neuerdings  Beziehungen  bis  ganz  nach  oben  hatte  und  begann  sich  ausführlich  bei  den  Gästen  zu entschuldigen,  während  er  gleichzeitig  alle  alternativ  zur  Verfügung  stehenden  Räume  im  Kopf  durchging.   „Jetzt“  Kaminskis  Tonfall  war  an  Schärfe  nicht  mehr  zu  überbieten.   Mit  einem  letzten  Rest  Würde  drehte  sich der  Wirtschaftsförderer   zu  den  Interessenten  um:  „Raum  104,  folgen  Sie  mir  bitte. “  

Kaminski,  sparte  sich  jede  Begrüßung.   „Wir  wurden  vom  Bundeskanzler  persönlich  zum  Think  Tank  in  Sachen  Mannesmann  berufen,  Ihre  Chance  oder Ihr  Untergang. “ So  viel  hatte  Kaminski  nie  geredet  und  wie  erwartet  sorgte  er für das größt  mögliche  Chaos.   Nach  vier  Stunden  gingen  sie  auseinander,  ohne  auch  nur  eine  einzige  verwertbare  Idee.

Mannesmann,  das  hatte  was  mit  Informatik  zu  tun.   Also  rief  Kaminski  alle Informatik – Professoren  von  Rang  an  und  bat  sie um  Hilfe.   Er  war  klug  genug nicht  zu erwähnen,  von wem  er die Anweisung  hatte.   Bei  keinem  hatte  er  das  Gefühl  in  der  Kürze  der  Zeit  etwas   erwarten  zu können.   Meist  wurde  ihm  erwidert,  er  solle  eine  Projektskizze  zuschicken,  man würde sehen,  was  sich  machen  ließe.  

Nichts,  gar  nichts  und  zwei  Tage  waren  schon  vorbei.   Aus  lauter  Verzweiflung  wählte  er  die  Nummer  von  Prof.   Zahlenwerk  in  Gelsenkirchen.  Dieser  arrogante  Fatzke  hatte  ihm  jedes  Mal,  wenn sie sich  begegneten,  deutlich  gezeigt,  was  er  von  dem  nicht  studierten  Kaminski  hielt.  

„Prof.   Zahlenwerk,  Lehrstuhl  für  Informatik,  wer  stört?“ 

„Kaminski,  es geht  um  eine  Sache  höchster  Dringlichkeit:  Ein  mir  anvertrauter  Telekomprovider  soll  vor  einer  Übernahme  geschützt  werden.   Nun  suchen  wir  eine  technologische  Idee,  die  diesen  für  deutsche  Anleger  unersetzlich  macht. “

 „So,  so,  Kaminski.   Man  erzählt  sich,  Sie  fühlen  sich  zu  Höherem  berufen“.   Zahlenwerk  war  doch  nicht  verkalkt.   Es  konnte  sich  nur  um  Mannesmann  handeln.   So  wie  dieser entscheidungsscheue  Kaminski  sich  ins  Zeug  legte,  konnte  es  sich  nur  eine  Anweisung  von  ganz  oben  handeln.   Dies  war  eine  einmalige  Chance,  gleich  zwei  Gegner  aus  dem  Weg  zu  räumen.   Diesen  Emporkömmling,  der  den  Platz  einnahm,  der  ja  wohl  nur  ihm  zustand.   Er  hatte  schließlich  maßgeblich  an  den Grundlagen  der  Retrivel  – Systeme  mitgearbeitet  und  wenn  man es  genau  nahm,  war  er  der  Urvater  von Semantic  Web.   Fast  noch  mehr  als  Kaminski  ärgerte  ihn  dieser  Deutschlehrer,  der  sich  Professor  für Linguistik  nannte  und  es  tatsächlich  gewagt  hatte,  ihm  einen  Etat  von  zwei  Millionen  streitig  zu machen.   Nicht  etwa  mit  solider  Grundlagenforschung,  nein,  mit  linguistischem  Firlefanz,  der  noch  nicht  mal  auf  Liebetreus  Mist  gewachsen  war.    

Diesem  Liebetreu  hatte  er  schon  eine  Laus  in  den  Pelz  gesetzt.   Einem  Studenten  hatte  er  die  leichte  Promotion  versprochen,  wenn  dieser  sich  im  Lehrstuhl  für  Linguistik  einschrieb  und  den anderen  Studenten  deutlich  machte,  dass  hier  Gelder  falsch  eingesetzt  wurden.   Falsch  eingesetzt,  was  sagte  er  da.   Für  einen  solchen  Quatsch  konnte  sich  Liebetreu  seine  zwei  Millionen  Subventionen  nur  ergaunert  haben. Zu  Kaminski  sagte  Zahlenwerk  zuvorkommend:  „Hört  sich  ja  wirklich  verzweifelt  an.   Wie  es  aussieht,  kann  ich  helfen.   Ich  habe  letztes  Jahr  auf  meine  Fördergelder  verzichtet,  um  einem  sehr  motivierten  Kollegen  aus  der  Linguistik  weiterzuhelfen.   Soll  ich  ihn  direkt  anrufen?“ 

Bei  soviel  Entgegenkommen  wäre  Kaminski  normalerweise  misstrauisch  geworden,  aber  wo  es  keine  Wahl  gab,  da  dachte  Kaminski  nie  unnötig  nach.   „Nein  ich  nehme  den nächsten  Flieger.   Heute  Mittag  bin  ich  da. “  Das  musste  ja  wirklich  dringend  für  Kaminskis  Kariere  sein.   Zahlenwerk  griff  direkt  zum  Hörer.  

„Hallo  Liebetreu  lassen  sie uns  Frieden  schließen.   Ich  bin  ein  guter  Verlierer.  Ich  habe  hier  Herrn  Kaminski,  ja  den aus  Friedrichshafen.   Wie  es aussieht  hat  der  ein  sehr  interessantes  Angebot  für  sie.   Ja,  er  kommt  heute  Mittag  gegen  15. 00  Uhr“.

Kaminski  war  auf  die Minute  pünktlich. Liebetreu  entsprach  in  keiner  Weise  dem  arroganten  Zahlenwerk.   Er  war  einfühlsam,  hektisch  und  schusselig,  alles  auf  einmal.  

 „Ja  guten  Tag  Herr  Kaminski.   Sie  interessieren  sich  für  die  digitale  Monemanalyse?  Das  was  wir  hier  machen,  ist  wirklich  äußerst  interessant“.   Obwohl  er  die  50  schon  seit  einiger  Zeit  überschritten  haben  musste,  strahlte  er die Begeisterung  eines  jungen  Mannes  aus.   „Ehrlich  gesagt,  ich  verstehe  mich  hier  nur  als Coach  für  das  Projekt.   Die  eigentliche  Arbeit  machen  die  Studenten  und  die  Ideen  liefert  unser  Christian  Wolff.   Was  für ein  Glück,  dass  wir den haben. “

 „Kann  ich  Herrn Wolff mal  kennen  lernen?“ 

 „Kein  Problem,  kommen  Sie  mit.   „Herr  Wolff , darf  ich  ihnen  Herrn  Kaminski  vorstellen,  den  aus  Friedrichshafen. “

Kaminski  drehte  Liebetreu  den Rücken  zu und  wendete  sich  an  Wolff.   Er  brauchte  Fakten  und  keinen  Smalltalk.

„Herr  Wolff,  stellen  sie  sich  vor,  ich  sollte  einen  Telekomprovider  vor  der  feindlichen  Übernahme  retten  und  ich  hätte  hierzu  die  politischen  Möglichkeiten. “ 

„Guten  Tag  Herr  Kaminski,  ich  bin  äußerst  erfreut,  sie  persönlich  kennen  zu  lernen. “  Wolff  gab  sich  alle Mühe,  den  Berliner  Dialekt  zu  unterdrücken.   Hier  war  ein  wichtiger  Mann,  dem  er  unbedingt  zu  Diensten  sein  wollte.   „Man  hört  ja  von Friedrichshafen  nur  Gutes.   Ja  ich  bin  kein  Politiker,  aber  wenn  ich  richtig  verstehe,  geht  es darum,  dass  die involvierten  Politiker  wiedergewählt  werden  wollen. “ 

Kaminski  schaltete  innerlich  schon  ab,  hier  vergeudete  er  nur  seine  Zeit.   Jetzt  redete  er  schon  mit  Assistenten.   Nur  mit  halbem  Ohr  hörte  er noch  hin.  

„Was  man bräuchte,  wäre  eine  Killerapplikation,  welche  von  diesem  Provider  entwickelt  würde und  für  Deutschland  unersetzlich  wäre. “  

 „Ja  genau  das. “  Jetzt  war  Kaminski  auf  einmall  hell  wach.  

„Nun,  einfach  ist  das  nicht,  aber  ich  habe  hier  gerade  verschiedene  Patente  recherchiert  und  Applikationen  aufgelistet,  welche  in  Kombination  mit  der  digitalen  Monemanalyse  wesentliche  Vorteile  für  den  Telekommunikationsmarkt  bieten  würden. “ 

Kaminski  diskutierte  mit  Christian  Wolff  eine  ganze  Nacht  und  er begann  die  Welt  in  einer  sprachlichen  Ordnungsstruktur  zu  sehen.   Wolff  überzeugte  ihn.   Wenn  man nur  einmal  für alle Bereiche des Lebens eine  Ordnung  einführte,  konnten  die  digitalen  Prozesse  für  alle  Beteiligten  wesentlich  vereinfacht  werden.   Was  ihn  störte  war  der  sperrige  Name  „Digitale  Monemanalyse“.   Das  konnte  man nicht  verkaufen.   Bevor  er  ging,  hatte  er  sich  mit  Wolff  auf  Finder  – Technologie  geeinigt. 

Auf  dem  Rückflug  überlegte  Kaminski  verzweifelt,  wie  er  aus  dem  eindeutig  umfangreichstem  Konzept,  welches man in  so  kurzer  Zeit  finden  konnte,  einen  Rettungsplan  schmieden  sollte.   Man  müsste  die  Firmenkunden  von  Mannesmann  gewinnen.  Geht  nicht,  viel  zu langwierig.   Man  könnte  eine  eigene  Portaloberfläche  für  Mannesmannkunden  basierend  auf  der  Finder  –Technologie  entwickeln.   Schon  besser,  aber  der  Bundeskanzler  wollte  ja  gerade  das  Image  loswerden,  sich  in  die Privatwirtschaft  zu  sehr  einzumischen.   Die  Behörden,  das  war  es.   Hier  war  ohne  Frage  das  größte  Rationalisierungspotenzial  und  die  größte  Unordnung.   Er  war  als  Provider  in  den  einen  oder anderen  Lenkungsausschuss  eingeladen  worden.   Selbst  wenn  sich  kleine  Städte  zu  einem  Landkreis  zusammenschlossen,  gab  es  nicht  enden  wollende  Diskussionen , ob  das Amt  nun  „Amt  für Müllentsorgung“  oder „Amt  für Abfallangelegenheiten“  heißen  sollte.   Nicht  einmal  die Anzahl  oder Grundaufgaben  der  einzelnen  Ämter  innerhalb  der  einzelnen  Städte  waren  gleich.   Für  die große  anstehende  Strukturreform,  da  bedurfte  es  eines  roten  Fadens,  der  durch  alle  Bereiche  der  Behörden  führen  sollte.   Hatten  es  die  Behörden  erst  einmal  vorgemacht,  würde die  Privatwirtschaft  von  alleine  nachziehen,  schon  um  mit  der  öffentlichen  Hand,  welche  ja  immerhin  40%  aller  Binnenmarktaufträge  im  IT  – Bereich  vergab,  kompatibel  zu  bleiben.   Das  war  mehr  als  ein  Mannesmannrettungsplan,  dass  war  ein  5  Jahresplan  für  ganz  Deutschland.  

Innerhalb  von  nur  12  Stunden  wurde  im  Kanzleramt  eine  neue  Sondersitzung  angesetzt.

Der  Kanzler  ging  kein  Risiko  ein.   Er  überzeugte  den  Mannesmann – Vorstand,  dieses  Konzept  als Mannesmann – Vision  zu veröffentlichen.   Nachdem  eine  Kurzumfrage  unter  der  Bevölkerung  keine  wesentlichen  Widerstände  identifizierte,  ging  alles  schnell.   Die  Lobbyisten  hatten  – wie  beabsichtigt – keine  Zeit  gehabt,  sich  eine  eigene  Meinung  zu bilden. Da  laut  ebenfalls  schnell  erstelltem  Gutachten  nur  Mannesmann  die  technischen  Voraussetzungen  für  ein  solch  komplexes  Projekt  hatte,  gab  der  Bundeskanzler  Mannesmann  ein  Pilotprojekt  ohne  weitere  Ausschreibung  in  Auftrag.   Gleichzeitig  kaufte  der  Bund  Aktien  und  übertrug  das  Konzept  des  VW – Gesetzes  auf  Mannesmann.   Mannesmann  wurde  später  der zweit  größte  Partner  im  FINDERS  – Konsortium.   Esser  brach  die Verhandlungen  mit  Vodafone  ab.   Die  Aktienpreise  von  Mannesmann  explodierten  nach  der  ersten  Pressemeldung  aus  dem  Kanzleramt,  dass  die  Agenda  2005  auf  das  finder – Konzept  abgestimmt  würde.   Vodafone  hatte  keine  ausreichende  eigene  Kapitalisierung,  um  den  Aktionären  ein  akzeptables  Angebot  zu  machen.   Die  feindliche  Übernahme  hatte  sich  erledigt,  ohne  dass  auch  nur  ein  Cent  öffentlicher  Mittel  geflossen  waren.  

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