Die Wende – Bundeskanzleramt Berlin – Dezember 1999, 9.Teil, Kapitel I

Kanzler  M  wirkte  nervös.  

Damals  wurde  er noch  mit  seinem  bürgerlichen  Namen  angesprochen.   Später  undenkbar.   M  stand  in  gleicher  Weise  für  Medienpräsenz  wie  Medienkompetenz.   Als  ein  Journalist  im  Spaß  diesen  Namen  einführte,  fand  der  Bundeskanzler  den  Namen  ausgezeichnet.   Später  sorgte  sein  Pressesprecher  dafür,  dass  alle  nur  noch  von  Kanzler  M  sprachen.   Kaminski  war  neu  in  der Runde.   Warum  hatte  man ihn  nur  zu  dieser  höchst  vertraulichen  Sitzung  hinzugebeten?  Was  erwartete  Kanzler  M  ausgerechnet  von  ihm?  Bloß  nicht  auffallen,  sicher  sollte  nur  ein  möglichst  umfangreiches  Beratergremium  dabei  sein.   Verantwortung  lies  sich  so trefflich  verteilen.   Schließlich  waren  im nachhinein  einzelne  Entscheidungen  nicht  mehr  eindeutig  auf  einzelne  Personen  zurückzuführen. Einmal,  nur  einmal  hatte  Kaminski  eine  Meinung  vertreten.   Es  hatte  ihn  fast  seinen  Hals  gekostet,  wäre  da  nicht  Christian  Wolff  gewesen. 

 Auf  der  Cebit  1999  war  er  wie  alle  Geschäftsführer  der  Ausstellerfirmen  von  der  Messegesellschaft  zum  Galadinner  mit  Bundeskanzler  eingeladen  worden.   Als  „Kreativer  Manager  der  Jahres“  wurde  ihm  die  besondere  Ehre  zuteil,  mit  12  weiteren  Gästen  am  Tisch  des  Bundeskanzlers  zu  sitzen.   Damals  hatte  er  es  genossen,  mitten  unter  den  mächtigsten  Wirtschaftskapitänen  zu  sitzen,  umringt  von  Bodyguards  selbst  wohl jetzt wichtig. Als  er einen  Sekt  mehr  als  sonst  getrunken  hatte,  war  er  in  einer  unglaublichen  Hochstimmung.   Da  sprach  Kanzler  M  ihn  an:  „  Herr  Kaminski,  wir brauchen  mehr  kreative  Leute  wie  sie  in  Deutschland.   Uns  geht  es gut.   Meinen  Sie  in  einer  Krise  sollte  ich  Sie  zu  einem  meiner  Berater  machen?“   „Herr  Kanzler,  ich  baue  gerade  in  Friedrichshafen  ein  Technologiecluster  mit  den  besten  Leuten  weltweit  auf.   Wir  bekommen  alles  hin,  was  man mit  Informationstechnologie  hinbekommen  kann. “   

Mitten  in  der  Nacht  schreckte  Kaminski  aus  einem  unruhigen  Traum  hoch.   Er  hatte  eine  Meinung  vertreten.   Er  hatte  seine  Prinzipien  gebrochen  und  mindestens  25  Worte  zuviel  gesagt.   Nicht  etwa  in  seinem  Stammcafe  in  Friedrichshafen,  nein  als von Bodyguards  umringter  Mann,  dessen  Aussage  Konsequenzen  haben  kann,  gegenüber  dem  Bundeskanzler,  der  selbst  permanent  Entscheidungen  mit  ungeheurer  Reichweite  treffen  musste. Er  war  ruiniert.   Da  kam  er nie  mehr  raus.   „Kaminski,“  sagte  er laut  zu sich  selbst,  „erst  einmal  einen  Schritt  nach  dem anderen.   Du  hast  Nachdurst.   Der  nächste  Schritt,  das ist  Wasser  aus  dem  Kühlschrank  holen  und  dann  sehen  wir  weiter“.   Wenn  Kaminski  sich  selbst  mit  Nachnamen  ansprach,  dann  war  es  wirklich  schlimm.

Nun  also  forderte  Kanzlei  M  seine  Zusage  ein.

 „Herr  Kaminski,  gibt  es eine  Möglichkeit,  die  Übernahme  zu verhindern,  ohne  dass  ich  wie  gerade  erst  bei  Phillip  Holzmann  wieder  wegen  der Einmischung  der  Politik  in  die  Marktwirtschaft  in  die  Schlagzeilen  komme?“     

„Herr  Bundeskanzler,  ich  lasse  mir  etwas  einfallen“.

„Gut,  Sie  haben  eine  Woche.   Damit  ist  die Sitzung  wohl  beendet. “ 

Das  konnte  er  doch  nicht  machen.   Seine  Staatssekretäre,  die  Wirtschaftsbosse,  all  die  wichtigen  Menschen  in  der  Runde  freuten  sich,  dass  einer  die  Verantwortung  übernahm,  dass  einer  Lösungen  bot.   Er,  Kaminski  war  nun  wirklich  zu  einem  sehr  wichtigen  Mann  geworden  – für  eine  Woche.   Der  anschließende  Fall  würde sehr  tief  sein,  denn  in  Wirklichkeit  hatte  Kaminski  nichts  anzubieten,  hatte  keinen  Plan  und  konnte  nur  hoffen,  dass  das Glück,  welches  ihn  bis  hier  hingebracht  hatte,  ihn  nicht  gerade  jetzt  verließ.  

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