Von der Kohle zum Internet -September 2006, 2.Teil, Kapitel I

In  der  modernen  offenen  Küche  nahm  ich  mir  einen  Kaffee  aus  der Kaffeemaschine  und  setzte  mich  an  den großen  Esstisch.   Brigitte  hatte  schlechte  Laune.   Sie  hatte  mir  keinen  Teller  hingestellt,  sondern  lediglich  den  Aufschnitt  vom  eigenen  Frühstück  stehen  lassen.   Meist  nahmen  wir  uns  zumindest  die  Zeit,  ein  Brot  gemeinsam  zu essen.   Wenn  Brigitte  mit  dem  falschen  Bein  aufgestanden  war,  dann  waren  das  denkbar  schlechte  Voraussetzungen,  um  eine  Entscheidung  zu fällen.   Doch  ich  würde von  mir  aus  das  Thema  nicht  zur  Sprache  bringen,  auf  keinen  Fall. Ich  erinnerte  mich  noch  gut,  wie  schwer  es damals für  mich  selbst  war,  eine  Entscheidung  zu treffen.   Natürlich  hatte  ich  im  Gegensatz  zu  Brigitte  keine  Alternative  –  Frühverrentung  kam  für mich  auf  keinen  Fall  in  Frage.  

Ich  hatte  mich  die  ganze  Zeit  als  Postbeamter  geistig  erheblich  unterfordert  gefühlt.   Wer  weiß,  wenn  nicht  die  alte  Postbeamtentradition  in  meiner  Familie  bestanden  hätte,  vielleicht  hätte  ich  sogar  studiert.   Lernen  viel  mir  sehr  leicht,  jedoch  interessierte  mich  der  dröge  Schulstoff  nicht  wirklich  und  ich  erbrachte  genau  die  Leistung,  welche  zur  Aufnahme  in  die  Ausbildung  als  Postbediensteter  von  mir  erwartet  wurde.   Es  war  nicht  einfach,  100%  zuverlässige  Mitarbeiter  in  diesem  doch  eher  einfachen  Beruf  zu  finden.   Eine  alte  Familientradition  als  Referenz  wurde  sehr  geschätzt. Für  Brigitte  gab  es  zumindest  keinen  finanziellen  Aspekte,  welche  sie  zu  einer  Rückkehr  in  die Lehrertätigkeit  bewegen  konnten.   Einen  Beruf  mit  mehr  Perspektive  als  die  eines  Kategorienmanagers  mit  Deutschlandlizenz  für  den  lukrativen  Bereich  Schuhe  konnte  man sich  heute  kaum  mehr  vorstellen.   Immerhin  beschäftigte  ich  inzwischen  70  Mitarbeiter  als  Trendscout,  Communitymoderator,  Regionalmanager  oder Administrator.  

Mich  schauderte  bei  dem Gedanken,  Brigitte  könnte  sich  für  die  Rückkehr  in  den Lehrerberuf  entscheiden.   Schließlich  hatte  sie  sich  im  letzten  Jahr  für  mich  unersetzlich  gemacht.   Sie  hatte  fast  alle  administrativen  Aufgaben  übernommen  und  hielt  mir  vollkommen  den Rücken  frei,  dass  ich  mich  vorwiegend um  die  Weiterentwicklung  der  Konzeption  kümmern  konnte,  um  den deutschen  Onlineumsatz  für Schuhe  weiter  zu  steigern.  

Natürlich  hatten  wir  als  Kategorienlizenzbüro  keinerlei  Verantwortung  für  die  Schuhshops.   Uns  war  nicht  einmal  erlaubt,  einen  eigenen  Onlineschuhshop  zu  betreiben.  Ein  Kategorienmanager wäre  durch  seine  Insiderkenntnisse  und  sein  Branchennetzwerk  jederzeit  in  der  Lage  ,  sich  Vorteile  vor  den  anderen  Shops  zu  verschaffen.  

Aber  ein  Teil  des  Umsatzes  unseres  Büros  war  an  den  Umsatz  im Schuhbereich  gekoppelt.   Für  die Berechnung  der  Provision  wurde  eine  komplizierte  Formel  zugrunde  gelegt,  welche  verschiedene  Parameter  wie  z. B.   den  Zuwachs  des  Onlineumsatzes  der Kategorie  im  Verhältnis  zum  Wachstums  des  gesamten  Onlinemarktes  berücksichtigte.   Hier  konnte  man mit  dem  richtigen  Communitykonzept  eine  Menge  beeinflussen.   Als  Kategorienmanager  der  ersten  Stunde  hatte  ich  den  Neuen  eine  Menge  Wissen  voraus.   Die  Kunst  bestand  darin,  möglichst  viele  ehrenamtliche  Mitarbeiter  einzubinden.

Muffelig  betrat  Brigitte  den  Raum.   Wir  hatten  es  uns  angewöhnt,  uns  leger  zu kleiden,  da  auch  in  den  üblichen  Bürozeiten  nicht  mit  Kundschaft  zu rechnen  war.   Oft  wussten  noch  nicht  einmal  unsere  Mitarbeiter,  wo  unser  Schiff  gerade  lag.   Trotzdem  legte  Brigitte  großen  Wert  auf  ein  gepflegtes  Äußeres  und  gab  mir  deutlich  zu  verstehen,  wann  es Zeit  war,  in  mein  Outfit  etwas  Abwechslung  zu  bringen.  

Nachdenklich betrachtete ich die  weibliche  Figur meiner 1,70 m großen Frau. Auf  Fremde  wirkte  sie  oft  etwas  arrogant  und  abweisend,  jedoch  ich  kannte  sie  als  jemand,  auf  den  ich  mich  100%  verlassen  konnte,  solange  sie ihre  Freiräume  behielt.   Brigitte  lachte  fast  nie,  aber  war  eine  Frau  mit  unterschiedlichstem  Lächeln.   Alle  Facetten  kannte  man erst,  wenn  man Brigitte  sehr  gut  kannte:  das  lehrerhafte  Lächeln,  das humorvolle  Lächeln,  das mitleidige  Lächeln  –  wie  ich  das hasste – das anerkennende  Lächeln  und  na  ja  ein  Lächeln,  dass  nur  ich  kannte.   Wie  weit  gingen  diese  Freiräume?  Ich  wusste,  der  größte  Nachteil,  den Brigitte  in  ihrer  jetzigen  Tätigkeit  sah,  waren die fehlenden  menschlichen  Kontakte . Würde  sie  sich  deshalb  wieder  für die Lehrertätigkeit  entscheiden?  Ich  könnte  es verstehen.   Zwar  hatte  ich  diese  Probleme  vorausgesehen  und  im  Bug  des  Schiffes  zwei  Gästekajüten  mit  jeweils  4  Stockbetten  und  eigenem  Bad  eingerichtet,  trotzdem  gelang  es  uns  nicht,  jedes  Wochenende  in  Gesellschaft  zuverbringen.  

„Hast  du  gestern  an  das  Backup  gedacht?  Als  ich  heute  Morgen  die  E-Mails  abgerufen  habe,  lud  sich  mein  Rechner  alle  E-Mails  der  letzten  Tage  erneut  vom  Server.   Nur  anstelle  von  Klartext  kamen  irgendwelche  Hieroglyphen. “

 „Ups,  da  hat  der  Provider  wohl  am  Server  gefummelt  und  den falschen  ASCI  Code  eingestellt.   Dass  wir  immer  noch  gezwungen  sind,  E –Mails  zu  bearbeiten,  ich  verstehe  diese  Leute  von  FINDERS  nicht.   R –Faxe,  Anfragen  über  das  Kontaktformular,  Kommentarfelder,  Bewertungsfelder.  Warum  E –Mails,  das  ist  doch  nur  Spam,  Briefe  hat  man schließlich  auch  abschaffen  können!“

„Du  weißt  genau,  dass  FINDERS  sein  Konzept  auf  alle EU  Länder  übertragen  will,  die  haben  nun  kein  R-  Fax  und  dann  ist  ja  noch  der  Rest  der  Welt.   Hast  du  nun  Backup  gemacht?“ Na,  das  fehlte  noch.  Das  bringt  das  Fass  zum  überlaufen,  Brigitte  hat  kein  Bock  mehr  auf  Technik.   Hab  ich  oder hab  ich  nicht?  Ich  bin  mir  einfach  nicht  sicher.  „Klar  hab  ich  Backup  gemacht,  Du  kannst  ganz  normal  über  das  Betriebssystem  den  Status  von  gestern  zurück  holen,  dann  musst  Du  nicht  jedes  Mail  einzeln  löschen. “

Brigitte  setzte  ihr  „Wenn  das mal  stimmt “ Lächeln  auf  und  verschwand  in  den  Raum  vor  der  Messe,  unserem  gemeinsamen  Büro.  

Die  Tür  blieb  auf  und  ich  hörte,  wie  sie einige  Befehle  in  den Rechner  tippte. „Fhiep,  Fhiep“  kündigte  das  Fax  an,  dass  neue  R –Faxe  auf  Abruf  warteten.   „Schatz,  weißt  Du,  wo  meine  Achtcard  liegt?“  Brigittes  Stimme  klang  neutral.   Hatte  das  Backup  funktioniert?

„Hier  auf  dem  Tisch,  ich  bring  sie  Dir. “  Wenn  das  Backup  nicht  funktionierte,  wollte  ich  zumindest  unmittelbar  im  Auge  des  Sturms  Gegenmaßnahmen  einleiten.   Ich  stand  also  vom  Tisch  auf – immerhin  mit  einer  Tasse  Kaffee  im Magen   – und  ging  an  der  Couchecke  vorbei  in  den  nächsten  Raum,  der  groß  genug  war,  um  zwei  Schreibtische  und  den  Tisch  für  das  Multifunktionsgerät  aufzunehmen.   Das  Multifunktionsgerät  konnte  Scannen,  Drucken,  Faxen  und  Kopieren.   Natürlich  war  es  mit  einem  Achtcardleser  ausgerüstet.  

„Ich  mach  das mit  den R –Faxen“.  

Brigitte  setze  ihr  „Du  bist  aber  lieb  Lächeln“  auf,  sagte  aber  nichts.   Ich  nahm  die  Achtcard  und  suchte  die richtige  Seite.   Die  Achtcard  sah  aus,  wie  früher  die  Eurocard.   Nur  hatte  sie  auf  jeder  Seite  4  Chips,  also  insgesamt  acht  statt  einem.  Die  Kunststoffkarte  war  durchsichtig.   

Das  war  eine  Idee  der  Datenschützer,  welche  für  den  Nutzer  visuell  überprüfbar  machen  wollten,  dass  es  zwischen  den  Chips  keine  Verbindung  gab.   Ich  wählte  die  breite  Seite,  auf  der  ein  Symbol  in  Form  eines  Schlüssels  abgebildet  war  und  steckte  die Karte  in  den  passenden  Schlitz.   Sofort  begann  das  Fax  die  aktuellen  R –Faxe  auszuspucken.   In  der Headerzeile  druckte  es  außer  dem  Datum  auch  Brigitte  Frederichs  als  Information  aus  der  Karte  meiner  Frau,  sowie  einen  einmaligen  Barcode  aus,  mit  dem  sich  im  Zweifelsfalle  eindeutig  rekonstruieren  ließ,  dass  das  R –Fax  mit  der  entsprechenden  Achtcard  ausgedruckt  wurde.   Sorgfältig  überprüfte  ich,  ob  alle  Seiten  vollständig  waren,  dann  zog  ich  die  Achtcard  kurz  heraus  und  steckte  sie an  der gleichen  Seite  noch  einmal  herein  und  drückte  auf  dem  alphanumerischen  Zehnerblock  die  Taste  „ABC“  für  bestätigen.      

Hätte  ich  die  Taste  „PQRS“  gedrückt,  wären  alle R –Faxe  erneut  gesendet  und  ausgedruckt  worden.   Es  war  unbedingt  erforderlich,  das  Verfahren  bei  den  R-  Faxen  (R  steht  glaube  ich  für  Response)  einzuhalten.   

Bevor  alle  Briefe  abgeschafft  werden konnten,  musste  erst  die Gesetzeslage  geändert  werden.   R  –Faxe  werden  genau  wie  früher  Einschreiben  eigenhändig  als rechtskräftig  zugestellt  betrachtet.       

Ich  ging  zu  Brigitte,  um  mir  einen  Kuss  abzuholen,  den  sie  bereits  mit  ihrem  Mund  andeutete.   Unauffällig  hatte  ich  Gelegenheit  zu  überprüfen,  dass  das  Backup  geklappt  hatte.   Gott  sei  Dank,  die Laune  von  Brigitte  schien  sich  zu  bessern.  Brigitte  drehte  sich  um  und  wendete  sich  den  neu  eingegangenen  R – Faxen  zu,  die  gleichzeitig  zum  Ausdruck  nun  auch  als  PDF  Files  auf  ihrem  Rechner  zur  Verfügung  standen.   

Anfänglich  hatte  es  große  Widerstände  gegen  dieses  Verfahren  gegeben.  Umweltschützer  sahen den  Verbrauch  von  ungeheuren  Papiermengen  vorher.   Umfangreiche  Untersuchungen  konnten  diese  Vorwürfe  jedoch  entkräften.   Tatsächlich  hat  sich  der  Papierverbrauch  weitgehend  minimiert,  obwohl  heute  keiner  mehr  vom  papierlosen  Büro  spricht.   Das  R  –Fax  zwang  zu einer  zweiten  Archivierung  wichtiger  Dokumente  in  Papierform.   Spätestens  nach  dem  bekannt  wurde,  dass  Datenbestände  auf  CD  alleine  auf  Grund  ihrer  Lagerzeit  beschädigt  werden,  gab  Papier  weiterhin  ein  sicheres  Gefühl. Früher  wurden  die  meisten  Mails  ausgedruckt,  der  Papierverbrauch  war  nicht  geringer.   Das  Zustellen  von  Briefen  kostete  jedoch  einen  ungeheuren  logistischen  Aufwand.   Alleine  hierdurch  wurde  die  Umwelt  erheblich  belastet  und  schließlich  konnte  man das  gesamte  Papier  für  Briefe  und  Umschläge  einsparen.   Die  Ersparnis  der  Papierproduktion  kommt  bis  heute  unmittelbar  Umweltprojekten  im  Regenwald  zu  gute,  welche  gleichzeitig  eine  Beschäftigungsalternative  zur  Forstwirtschaft  bieten.    

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  • Die Patentanmeldung zur Achtcard finden Sie unter http://www.dpma.de unter der Anmeldenummer DE 10101874 A1

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