Langeweile -irgendwo in Kalifornien – einige Wochen später, Kapitel 47, Teil II

In einem Mietwagen fuhr Frank Miller auf einer endlos geraden Straße. Er hatte einen südländischen Teint. Zu dem makellos sitzenden weißen Anzug trug er einen weißen Hut. Ein rosa Einstecktuch schmückte seine Brusttasche.

Nur durch einen Meilenstein gekennzeichnet, bog eine kleine Straße rechts ab. Miller fuhr diesen Weg nicht zum ersten Mal. Er war sich jedoch sicher, dass es das letzte Mal sein würde.
Er hatte sich im französischsprachigen Bereich Kanadas in der Nähe von Québec ein Domizil für seinen Lebensabend eingerichtet.

In der Ferne tauchte eine Farm auf. Das Tor war ungewöhnlich gut gesichert und mit Kameras ausgestattet.
Nachdem er seinen Kopf aus dem Fenster gestreckt hatte, öffnete sich das Tor automatisch mit lautem Quietschen.
Er durchfuhr eine große Parkanlage. In den letzten Jahren hatte man der Natur freien Lauf gelassen. Aus dem ursprünglich aufwändig angelegten Park war eine interessante Mischung aus Wildwuchs und Gestaltung mit Springbrunnen, Steingärten und Skulpturen entstanden.
Er hielt vor dem großen Haus.
Die Haustür öffnete sich automatisch. Im Inneren erwartete ihn alles, was Ende der 90er Jahre für viel Geld zu haben war. Die Wände schmückten Plasmabildschirme mit wechselnden Bildmotiven. Das Licht ging automatisch an, sobald er einen Raum betrat.
Ein automatischer Staubsauger sauste wie ein Ufo über den Boden. Ein Fremder hätte sich in den verschiedenen Zimmern verlaufen. Miller war kein Fremder mehr. Zu oft war er in den letzten Jahren an diesem Ort gewesen, um das weitere Vorgehen abzustimmen.
Miller betrat ein mindestens 300 qm großes Wohnzimmer.
Das Zimmer wurde von einer gigantischen Sitzlandschaft dominiert und gab den Blick zu einem großen Pool frei.
Als einziger saß in einer Ecke ein langhaariger Hippie.
Außenstehende hätten ihn für einen Einbrecher gehalten. Er hatte ein äußerst ungepflegtes Äußeres. Seine Haltung und die ihn umgebenden Flaschen ließen keinen Zweifel daran, dass er heftig dem Alkohol zugesprochen hatte.
Miller zeigte sich hierdurch in keiner Weise beeindruckt, obwohl ihm diese Szene neu war.
„Tolles Outfit. Perücke?“, fragte Miller, wie von ihm erwartet.
„Nee, angeschweißt. Für so einen Retrolook muss man schon was tun“, gab das Gegenüber mit echten glasigen Augen zurück.
„Ich bin gekommen, um unser Vorhaben abzuschließen“, kam Miller zur Sache. Er wollte seinen Aufenthalt so kurz wie möglich halten.
Vorhaben, das war der offizielle Sprachgebrauch zwischen ihnen gewesen. Beide wussten, dass dieser Begriff in keiner Weise der historischen Tragweite des Geschehenen gerecht wurde.
„Da liegt der Koffer mit dem restlichen Geld“, lallte der Hippie. Nichts deutete darauf hin, dass er einmal einer der einflussreichsten Männer der Computerbranche gewesen war.
Miller nahm den Koffer und wandte sich zum Gehen. Ein Abschiedsgruß wurde von ihm nicht erwartet.
Doch dann blieb er stehen: „Eine Frage hätte ich noch?“
„Was ne?.“
„Warum haben Sie das Vorhaben gestartet? Wenn ich das richtig sehe, haben Sie doch einige Millionen verloren, obwohl wir alle Medikamente verkauft haben.“
„Geld, Geld interessiert mich schon lange nicht mehr. Ich sitze hier und habe alles – und habe nichts.“
Sein Arm wischte einen Bogen über sein ganzes Besitztum.
Nach einer langen Pause sagte er: „Ich habe es getan, weil ich es kann.“ Er trank einen kräftigen Schluck aus seinem Whiskyglas.
„Mir ist so langweilig. Haben Sie keine Idee für ein noch größeres Vorhaben? Irgendetwas mit einer wirklich bleibenden Wirkung?“
Miller ging wortlos. Er wollte nur noch weg.
Draußen schüttelte er den Kopf.
Was für eine Welt.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert