Chaos -Manhattan, New York – 11. Juli 2011, Kapitel 41, Teil II

Isabella Talik saß in ihrer lichtdurchfluteten Wohnung. Es war ein heißer Sommertag. Die Wohnung war früher eine Fabrikationshalle gewesen. Sie befand sich im 8. Stock mitten in Manhattan. Durch die Fenster drang gedämpft der Straßenlärm herein.
„Eigentlich solltest du in deinem Zustand nicht mehr arbeiten“, sagte Lena und trank ihre Tasse aus.
„Ich bin doch nicht krank, ich bin doch nur ein bisschen schwanger“ antwortete Isabella und streichelte sich über ihren nicht übersehbaren Bauch.
„Wann lässt sich denn der Vater blicken?“
„Der Vater hat einen Namen, wie Du weißt. Levis arbeitet hart für sein Geld als Taxifahrer. Ich hoffe, er kommt gegen Abend.“
„O.k., Du weißt, ich werde nie verstehen, wieso Levis sein Jurastudium nicht fertig gemacht hat. Schätzchen, ich muss jetzt gehen, vielen Dank für den Tee.“
Plötzlich hatte sie es eilig. Irgendwie trug sie ihrer besten Freundin Isabella immer noch nach, dass ihr Isabella Levis ausgespannt hatte. Obwohl, wenn sie zu sich ehrlich war, Ansprüche an Levis hatte sie zu keiner Zeit gehabt.
„Ruf mich an, wenn Du mich brauchst.“ Lena war schon an der Tür, als ihr Handy klingelte. Schlagartig veränderte sich ihre Haltung. Erst straffte sich ihr Körper und sie wurde ganz der Profi, der knapp Fragen stellte, dann sackte sie in einer Weise zusammen, wie Isabella es an ihr noch nie gesehen hatte. Sie strahlte blankes Entsetzen aus. Nach einem kurzen „Danke, ich gehe gleich ins Internet“, legte sie auf.
„Isabella, kann ich mal Deinen Computer benutzen?“
Die Antwort nicht abwartend setzte sie sich an Isabellas Arbeitsplatz und tippte www.via-planet.com in den Internetbrowser. Die http://www.via-planet.com/ war inzwischen in den USA die meistbesuchte Seite, wenn es um Informationen zu international auftretenden Krankheiten ging. Auf dem Gesundheitsportal konnte man seine eigene Stadt hinterlegen und bekam auch tagesaktuelle Grippe- und Allergiemeldungen aus der eigenen Region.
Auf der Homepage erschien folgende Meldung in großen Lettern:

  • Ausnahmezustand wegen Vogelgrippe

    Vor 2 Tagen ist in New York eine besonders bösartige Mutation von H5N1 ausgebrochen.

    Folgende besonderen Eigenschaften weist der Virus auf:
    – 100% Sterblichkeit bei Infektion
    – sofortige Übertragung über die Luft bei Annäherung an infizierte Personen

    Ein wirksamer Impfstoff liegt am Airport Kennedy Parkplatz 12, Stellplatz 324 in einem Ausgabe-LKW der Firma Ryman Ltd. für Sie bereit.

    Nur Personen sind empfangsberechtigt, welche sich online einen Berechtigungsschein ausgedruckt haben,
    Folgende Maßnahmen sind sofort angeordnet:

    1. Personen, welche heute
    nach Einbruch der Dunkelheit
    – oder ohne Berechtigungsschein
    – oder an einem anderen Platz als an ihrem Übernachtungsplatz (Privat oder Hotel)
    angetroffen werden, können vom Militär ohne Vorwarnung erschossen werden.
    Drucken Sie sich schnellst möglich online ihren Berechtigungsschein für das Gegenmittel aus.
    2. Ab morgen 8.00 Uhr gilt für 14 Tage eine totale Ausgangssperre. Dies ist die einzige Möglichkeit um die Ausbreitung zu verhindern.
    3. Die Ausgangssperre gilt auch für alle Polizei- und Hilfskräfte.
    4. Telefonieren oder Benutzen der Internetleitung für weitere Informationsbeschaffung ist unter strengste Strafe gestellt. Nur so kann ein völliges Zusammenbrechen der Telekommunikations-infrastruktur verhindert werden.
    5. Sobald die Krise vorbei ist, werden Sie informiert.
    6. Es muss noch einmal in aller Deutlichkeit darauf hingewiesen werden, dass auch für Personen in Not der Schießbefehl gilt. Essensbeschaffung oder Beschaffung von Medizin gelten nicht als Ausnahmen. Soldaten werden Lebensmittel und Trinken austeilen.
    7. Da wir nicht in der Lage sind, alle Soldaten mit der an die Situation angepassten Schutzkleidung auszustatten, wird die Annäherung an Militär, Polizei und Hilfskräfte näher als 50 Meter als aggressiver Akt gewertet, der den Gebrauch der Schusswaffe rechtfertigt.

    Benutzen Sie zur Registrierung nur den für Sie speziell generierten Link: www.heimatschutz.us/ausnahmezustand/978696986585

    Sollte ihnen kein Link angezeigt werden, ist die IP-Adresse ihres Computers nicht registriert. Benutzen sie zur Registrierung einen uns bekannten Computer.

    Bewahren Sie Ruhe.

    Überleben Sie

    Oskar Miller
    (Präsident des Heimatschutzes)

  • „Das kann doch gar nicht sein!“
    Isabella schubste Lena von ihrem Arbeitsplatz und klickte, ehe Lena es verhindern konnte, auf den Link des Heimatschutzes, der neben der Meldung angegeben war.
    Es erschien die offizielle Seite des Heimatschutzes mit genau dem gleichen Text.

    „Isabella, bist du wahnsinnig, kannst Du nicht lesen, wir müssen schnellstens zum Flughafen, Du begehst eine Straftat, wenn du weiterklickst.“
    Doch Isabella ließ sich nicht beirren. Mit ungeheurer Geschwindigkeit tippte sie ein R-Fax an Frederichs. Die Schlüsselseite ihrer Achtcard steckte noch im Schlitz:
    „Notstand, Vogelgrippe, 100 % Sterblichkeit, Übertragung durch die Luft, bitte bestätigen!“
    An der Zeit, die das System brauchte, diese kurzen Zeilen abzuschicken, merkte Isabella, dass das Netz kurz vor dem Zusammenbrechen war. Gleichzeitig registrierte sie, dass der Straßenlärm erheblich zugenommen hatte. Sie hörte wildes Hupen und das Zusammenkrachen von mehr als zwei Autos. Verrückter Weise hatte irgend eine Ecke ihres Verstandes noch Zeit, sich über die Formulierung „Benutzen Sie einen uns bekannten Computer“ zu amüsieren.

    Über 40 Minuten dauerte es, bis sie für Lena, sich und ihren Freund Levis die Bestätigungen ausgedruckt hatte.
    Als sie noch einmal versuchte, die Homepage des FINDERS-Konsortiums aufzurufen, bekam sie nur eine Timeout Meldung.
    „Nun komm endlich.“ Lena zerrte an ihr. „Lass den blöden Internetscheiß.“

    Plötzlich brach Isabella der Schweiß aus.
    „Hast du Wehen?“, fragte Lena besorgt.
    „Ich habe die Berechtigung für Levis ausgedruckt“, schrie Isabella los. “Was, wenn wir Levis nicht finden. Dann bekommt er keine Berechtigung.“
    Einige Sekunden wurde es still, dann sagte Lena mit einer neuen Entschlossenheit: „Dann müssen wir ihn eben finden, jetzt aber los. Wir haben 10.00 Uhr morgens. Mit dem Fahrrad bis zum Airport Kennedy sind 18 Meilen. Dann wieder zurück. Das wird verdammt knapp.“

    Langsam erst wurde auch Isabella annähernd klar, was ihnen bevor stand.

    Schreibe einen Kommentar

    Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert