Bewegte Zeiten – zwischen Friedrichshafen und Berlin – Dezember 2002, 7.Teil, Kapitel I

Kaminski  saß  mal  wieder  in  dem kleinen  Privatjet  zwischen  Friedrichshafen  und  Berlin.   Er  musste  unbedingt  durchrechnen  lassen,  ob  sich  nicht  langsam  eine  eigene  Maschine  für  das  FINDERS  Konsortium  rechnete.   Aber  für  solche  Kleinigkeiten  hatte  niemand  wirklich  Zeit.   Sicher  konnte  mannoch  einen  Controller  einstellen,  doch  wer  kontrollierte  den? Kurz  dachte  er  an  die  vergangenen  3  Jahre.    

Erst  1999  war  die  FINDERS  GmbH  gegründet  worden.   Ziel  war  es,  ein  Technologiecluster  aufzubauen,  um  innovative  Firmen  nach  Friedrichshafen  zu holen,  2000  schaffte  man dann  die  Verhinderung  der  Übernahme  von Mannesmann  durch  Vodafone  und  den Aufbau  des  FINDERS  Konsortiums.   Seit  dem 11.   September  2001  war  er  wohl  zum  wichtigsten  Wirtschaftsführer  Deutschlands  aufgestiegen.   Sicher,  eines  der  größten  Probleme  war  es gewesen,  den  bürokratischen  Sturköpfen  die  WIN – WIN  Situation  beizubringen.   Er  hatte  sich  ein  Team  von  50  Volkswirten,  Mathematikern  und  Beratern  eingekauft,  die  Unmengen  von  Papier  produzierten,  um  jeder  der  parlamentarischen  Anfragen  gerecht  zu werden,  jedem  Lobyisten  seinen  Vorteil  darzustellen.   Trotzdem  ging  alles  rasend  schnell.   Nie  zuvor  war  eine  solch  gewaltige  strukturelle  Änderung  so  schnell  eingeführt  worden.   Und  so  sah  das Ergebnis  aus.   Das  Postmonopol  für  Briefsendungen  lief  bis  Ende  2003  aus.   Die  Post  selbst  bot  nur  noch  in  Spezialbereichen  Briefe  an,  z. B.   für  die  schnelle  Zustellung  von  Großformaten  wie  Bauplänen  wurde  ein  spezieller  Service  eingerichtet.   

Die  Post  hielt  mit  50%  den  größten  Anteil  am  FINDERS  Konsortium.   Achtfachcardgeräte  erhielten  vom  Konsortium  eine  Subvention  von 8  Mrd.   Euro.   Das  FINDER  Konsortium  refinanzierte  sich  einerseits  durch  eine  Lizenzgebühr,  welche  bei  dem regionalen  Händler  abhängig  von  der  Qualität  der Produktergebnisse  eingenommen  wurde.   Dieses  Verfahren  erwies  sich  als  wesentlich  fairer  als  das  pay  per  click  Modell  der Suchmaschinen,  da  nur  für  den  User  sinnvolle  Ergebnisse,  nicht  jedoch  unsinnige  Klicks  auf  Zwischenergebnisse  von  den  Produktanbietern  bezahlt  werden  mussten.   Experten  hatten  errechnet,  dass  allein  dadurch,  dass  Unternehmen  nicht  mehr  Faxe,  Briefe  und  E – Mails  gleichzeitig  bearbeiten  mussten,  eine  jährliche  Ersparnis  von  20  Mrd.   EUR  erreicht  werden konnten.     

Da  das  Briefporto  wegfiel,  konnte  weiterhin  für  jedes  R – Fax  eine  Sendegebühr  von  0,50  Cent  erhoben  werden. Jeder  Deutsche  über  14  Jahre  wurde  verpflichtet,  sich  sein  eigenes  Achtcardgerät  zu  kaufen.   Das  Volksfaxgerät  –  wie  es  später  genannt  wurde  –  gab  es  schon  für  1,  Euro  bei  jedem  Telefonladen.   Wer  sich  keinen  Telefonanschluss  leisten  konnte,  bekam  die Grundgebühr  erlassen,  um  R – Faxe  erhalten  zu  können.   Schnell  stürzten  sich  die  Gerätehersteller  auf  den  neuen  Markt.   Es  gab  Handys  mit  Achtcard,  die  über  Funk  auf  Faxen  ausdrucken  konnten  und  vieles  mehr.   Der  Personalabbau  gestaltete  sich  wesentlich  undramatischer  als  erwartet.   Die  Post  erhielt  die  Aufgabe,  die  Semantikredaktion  aufzubauen  und  die  Kategorienagenturen  zu  überwachen.   Sowohl  im  Dienstleistungsbereich,  als  auch  im  Handelsbereich  wurde  die  komplette  Digitalisierung  der  Kommunikation  zum  Jobmotor.   Durch  die  Ausschöpfung  der  ungeheuren  Rationalisierungspotenziale  wurden  Produkte  und  Dienstleistungen  in  Deutschland  günstig  und  international  wettbewerbsfähig.   Sicherlich,  viele  Postbeamten  machten  keine  Karriere.   Doch  es  entstanden  auch  viele  einfache  Jobs  im  Dienstleistungsbereich. Die  Behördenabläufe  wurden  wesentlich  beschleunigt  und  vereinfacht.     

Morgen  hatte  Kaminski  erneut  eine  Mammutaufgabe  zu  bewältigen.   Es  ging  darum,  die gesamte  Paketlogistik  in  Deutschland  umzustellen.   Man  hatte  auf  seiner  Anwesenheit  bei  einer  Anhörung  im  Bundestag  zum  Thema:  „Einführung  der  Mehrfachpakete  in  der Regionallogistik“  bestanden.   Für  Kaminski  war  diese  Pflichtübung  eindeutig  verlorene  Zeit.   Aber  es  war  wichtig,  den privaten  Logistikfirmen  zu  zeigen,  dass  alle  vom  neuen  Mehrfachpaket  profitieren  würden. 

Während  Kaminski  seinen  Gedanken  nachhing,  gab  er  in  seinen  Laptop  nach  und  nach  Namen  der Gesprächspartner  ein.   Prompt  erschien  der  R – Fax  Verkehr  der  letzten  Tage  für  die  jeweilige  Person  auf  dem  Bildschirm.   Nicht,  dass  Kaminski  wirklich  am  Inhalt  interessiert  war.   Es  war  eine  der  wenigen  Spielereien,  die  er  benutzte,  um  sich  selbst  seine  Macht  zu demonstrieren.   Morgen  im Gespräch  würde er  wieder  sachlicher  unparteiischer  Moderator  sein,  stets  um  Kompromisse  bemüht.   Gebraucht  hatte  er  eine  solche  Information  noch  nie.   Vielleicht  hatte  er  im  einen  oder anderen  Interview  zu intensiv  betont,  dass  das  Achtcardverfahren  sicher  sei,  da  nicht  die  personenbezogenen  Daten  auf  dem  Chip  gespeichert  waren.   Jedenfalls  seit  dem  das  Gerücht  umging,  er  hätte  die  Möglichkeit,  diese  Daten  einzusehen,  gab  es  keinen  ernsthaften  Gegner  mehr  in  seinen  Verhandlungen.   Manchmal  spielte  er  gelangweilt  an  seinem  Laptop  herum,  zufällig  immer  dann,  wenn  eine  Diskussion  festgefahren  war.    

Kaminski  verlor  sich  wieder  in  seinen  Erinnerungen. Zuletzt  hatten  sogar  die  Datenschützer  das System  vorangetrieben.   Anders  als  im  normalen  Internet,  musste  sich  jeder  Sender  eines  R  – Faxes  durch  Einlegen  der  Schlüsselseite  des  Achtfachchips  selbst  identifizieren.   Die  acht  Chips  verbanden  sich  jeweils  mit  einem  anderen  Rechenzentrum.     

Es  gab  ein  Rechenzentrum  für  die  Authentifizierung,  4  Rechenzentren  für  das  Bezahlen  abhängig  von  der  Bankverbindung  des  Users,  ein  Rechenzentrum  für  persönliche  Shoppingprofile,  ein  Rechenzentrum  für  die  Erstellung  von  Tickets  und  ein  Rechenzentrum  für  Krankheitsbilder  und  Notrufe  . Jede  Chipcard  erzeugte  einen  eindeutigen  Tagesstempel  anhand  dessen  der  nötige  Abgleich  zwischen  den  Servern  möglich  war,  z. B.   beim  Bestellen  und  Bezahlen  die  Zuordnung  zur  gleichen  Transaktion.   Der  11.   September  war  für  das  FINDERS  Konsortium  ein  Glücksfall  gewesen  so  zynisch  das  auch  klingen  mag.   In  den  USA  reagierte  man derart  panisch,  dass  in  Deutschland  die Datenschützer  Oberhand  bekamen.   Eine  neue  Gesetzesvorlage  wurde  verabschiedet,  dass  bei  begründetem  Terrorverdacht  lediglich  die  E  – Mails  auf  Rechnern  von  Tatverdächtigen  untersucht  werden  durften,  nicht  jedoch  die  sonstigen  Daten.   Nur  200  Personen  in  Deutschland  hatten  eine  sogenannte  Superusercard,  mit  der  zu  einer  einzelnen  Achtcard  Transaktion  auch  die  zugehörigen  Daten  von  den  anderen  Rechenzentren  über  ein  spezielles  Trustzentrum  abgerufen  werden  konnten.   Da  die  einzelnen  Chips  der  Achtcard  jeden  Tag  die  Identitätsnummer  mit  einem  anderen  Schüssel  versahen,  war  der  Aufwand  für die Fälschung  einer  Achtcard  extrem  hoch  geworden.    

Kaminski  war  einer  der  Berechtigten.   Neben  seinem  Schlüsselchip  wurden  bei  ihm  auch  zahlreiche  biometrische  Daten  abgefragt,  bevor  sein  Laptop  startete.   Sobald  sich  der  Laptop  außerhalb  des  Bluetooth  Radius  seines  als  Uhr  getarnten  Pulsmessers  befand,  wurde  automatisch  eine  neue  Eingabe  der  biometrischen  Daten  zur  Reaktivierung  erforderlich.  

Das  Flugzeug  setzte  zur  Landung  an.   Es  war  23. 00  Uhr.   Bis  er  in  Kreuzberg  war,  würde  eine  weitere  Stunde  vergehen.   Er  hatte  sich  leger  angezogen.   Er  genoss  es,  wenn  die  jungen  Dinger  in  den  bevorzugten  Singlebars  noch  immer  auf  ihn  standen.   Sich  Informationen  über  die  eine  oder andere  zu  verschaffen,  war  ihm  noch  nie  in  den  Sinn  gekommen.   Vielleicht  war  das  der  Grund,  warum  er  sich  nie  den  Namen  eines  Onenightstands  merken  konnte.  

Und  mehr  wurde  es nie.  

   

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