Beruf und Leben – Hotel Britannia, Esbjerg – am nächsten Morgen um 10.00 Uhr, 6. Teil, Kapitel II

Es  musste  weniger  werden.   Zwar  beschwerte  sich  Brigitte  nicht  laut,  aber  mir  war  klar,  dass  es ihr  nicht  gefiel,  wenn  ich  zu  oft  unterwegs  war,  während  sie  mir  in  den  Kategorienagentur  den  Rücken  frei  hielt.   Es  war  weniger  der  größere  Arbeitsanfall  als  die  zusätzliche  Isolation,  in  der  sich  Brigitte  dann  auf  unserem  Schiff  befand. Akzeptabel  waren  meine  Reisen  für sie dann,  wenn sie passend  eine  Freundin  einladen  konnte.   Doch  diesmal  hatte  es  nicht  geklappt. Ich  leitete  auf  dem  Scandinavian  Search  Event  ein  Forum  zum  Thema  „Aufbau  einer  erfolgreichen  Kategorienagentur“.   Vor  der  heutigen  abschließenden  Podiumsveranstaltung  im  Esbjerg  Musikhuset  hatte  sich  Shaona  Magu  mit  mir  verabredet.   Sie  hatte  schnell  Karriere  gemacht.   Immer öfter  setzte  das FINDERS – Konsortium  sie ein,  um  auf  Veranstaltungen  wie  diesen  als  Expertin  Fragen  zu  beantworten.   Sicher  erleichterte  es  Shaona  ihr  exotisches  und  äußerst  attraktives  Aussehen,  positiv  wahrgenommen  zu werden. Hauptsächlich  jedoch  überraschte  sie  insbesondere  die  männlichen  Gesprächspartner  immer  wieder  durch  ihren  wachen  Verstand.   Immer  freundlich  kam  sie direkt  auf  den Punkt  und  hatte  die  seltene  Gabe,  so  zu  kritisieren,  dass  man ihr  das  nicht  übel  nahm.   Ich  mochte  Shaona  und  inzwischen  war  es  schon  so  etwas  wie  Tradition,  dass  wir  uns  bei  gemeinsamen  Veranstaltungen  zu  einem Kaffee  trafen  oder wenn  sich  die  Gelegenheit  bot,  abends  bei  einem  guten  Wein  einen  intensiven  fachlichen  Austausch  vornahmen.   Immer  mehr  tauschten  wir  uns  auch  privat  aus.   Ich  spürte,  das  Shaona  sehr  einsam  war  und  eigentlich  nie  richtig  in  Europa  angekommen  war.   Ich  hatte  mich  bereits  ins  Café  des  alten  Hotels  Britannia  gesetzt  und  zwei  Kaffee  bestellt,  für Shaona  schwarz,  das hatte  ich  mir  gemerkt.

Shaona  kam  herein,  geschäftlich  gekleidet  mit  einem  schwarzen  Kostüm  und  einer  weißen  Bluse.   „Hallo  Ole,  schön  Dich  zu sehen“.   Der  Kellner  kam  und  brachte  den  Kaffee,  während  wir  uns  umarmten.   Sie  lächelte.

„Hallo  Shaona,  na  wie  geht  es  Dir?“  „Wie  soll  es  schon  gehen?  Viel  Arbeit,  wenig  Privatleben!“

„Ich  habe  eigentlich  immer  das  Gefühl,  dass  Dir  Deine  Arbeit  viel  Spaß  macht!“ „Ja  schon,  aber  Du  weißt  ja  wie  das  ist.   Man  hat  immer  das  Gefühl,  dass  das  Leben  an  einem  vorbeizieht  und  man später  feststellt,  für das Wesentliche  hatte  man keine  Zeit“. 

„Shaona,  das  hört  sich  aber  ganz  nach  Midlifecrisis  an“. „Nein,  aber  wieder  einmal  nach  einer  Nacht  mit  einem  Fremden,  der  es  wohl  nicht  ist“.

Shaona  wusste,  dass  ich  glücklich  verheiratet  war.   Sie  fühle  sich  offensichtlich  bei  mir  wohl,  weil  sie  merkte,   mir  lag an  ihrer  Freundschaft  etwas.   Sie  erzählte  mir  von  ihrer  Begegnung  mit  Frank.

„Wie  sieht  er denn aus?“ „Ach,  eigentlich  nicht  gut.   Irgendwie  hat  er  etwas  Archaisches  an  sich.   Er  ist  groß,  hat  lange  Haare,  die  das  Wesentliche  seines  Gesichts  verdecken  und  eine  alles  überragende  Nase.   Er  hinkt  ein  wenig. “ „Aber  das  hört  sich  doch  ganz  nach  Deinem  Typ  an“  neckte  ich  sie.

„Weißt  Du,  ich  glaube  er  ist  auch  ein  Egomane“  seufzte  sie.   „Einer,  wie  ich  ihn  auf  Dhunikolhu  viel  zu  oft  kennen  gelernt  habe.   Solange  so jemand  etwas  von meinen  Eltern  wollte,  z. B.   einen  besseren  Tisch,  war  er  die  Freundlichkeit  in  Person.   Wenn  das Maß  an  möglichen  Gefälligkeiten  überschritten  war,  nahm  man sie  nicht  einmal  mehr  wahr. “ 

 „Shaona,  Du  musst  uns  unbedingt  mal  auf  unserem  Boot  besuchen.   Ich  glaube,  Du  würdest  Dich  richtig  gut  mit  Brigitte  verstehen.

“ Shaona  wurde  geschäftsmäßig.   Es  schien  ihr  doch  ein  wenig  zu privat  zu  werden. „Ole,  jetzt  aber  mal  zum  Podium.   Es  wird  ja  wohl  auf  eine  Diskussion  Suchmaschinen  versus  FINDERS  System  herauslaufen.   Ich  kann  eigentlich  nur  zu den Regeln  der Kategorienbildung  was  sagen.   Bei  zehn  Podiumsteilnehmern  werde  ich  wohl  kaum  zu  Wort  kommen.   Wie  ist  denn  Dein  Forum  gelaufen?  Sind  die  hier  sehr  kritisch?“

„Die  Skandinavier  sind  einerseits  Individualisten  und  andererseits  Technikfreaks.   Hier  musst  Du  aufpassen.   Wenn  die  sich  durch  standardisierte  Kategorien  bevormundet  sehen,  hast  Du  verloren.   Wenn  Du  aber  erklären  kannst,  welchen  Vorteile  ein  gewisses  Maß  an  Ordnung  im  Internet  hat  und  welche  technischen  Möglichkeiten  sich  erst  erschließen,  wenn man das  technische  Potential  voll  ausschöpft,  kannst  Du  sie  begeistern. “

 „Das  hört  sich  wie  ein  Seiltanz  an.   Ole,  also  beruhigt  hast  Du  mich  nicht.   Du  weißt,  wie  wichtig  die  Skandinavier  sind.   Wenn  wir  uns  hier  auf  der  Konferenz  gut  verkaufen,  wird  Nokia  weltweit  auf  seinen  Handys  standardmäßig  die  Achtcard  einführen  und  die  Finders  – Suche  als  Sucheinstieg  im  Handy  pushen. “     

Ich  wollte  Shaona  nicht  noch  mehr  beunruhigen.   Tatsächlich  war  es  ja  nicht  ihr  Job,  hier  Firmenpolitik  zu  machen.   Kaminski  selbst  war  als Podiumsteilnehmer  aufgeführt.   Er  würde ihr  nur  die  Bälle  für  fachliche  Antworten  zuspielen.

 „Am  besten  bleibst  Du  in  Deckung,  Kaminski  macht  das schon. Was  hältst  Du  eigentlich  von dem Amerikaner?“

„Von  welchem  Amerikaner?“

 „Na,  den  die  Suchmaschinenanbieter  als  Vertreter  aus  Amerika  eingeflogen  haben,  Frank  Reagan  heißt  der,  glaub  ich“.

Shaona  antwortete  nicht.   Sie  saß  da  und  starrte  nur  noch  ins  Leere.

“Shaona,  hallo,  hier  bin  ich!“

Shaona  sah  mich  geistesabwesend  an:“  Du,  mir  ist  eingefallen,  ich  muss  für das Podium  noch  was  vorbereiten.   Sei  mir  nicht  böse“.

Sie  war  schon  aufgestanden  und  umarmte  mich  kurz.   Nachdem  sie  einige  Schritte  gegangen  war,  drehte  sie sich  noch  mal  um:“  Du,  wir machen  das!“

„Was“  fragte  ich  entgeistert. „

„Na,  das mit  Euch  besuchen  und  Brigitte  kennenlernen“  lächelte  sie entschuldigend  und  verschwand.      

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