Beispiel Huawei Dilemma – Ist der Bundestag handlungsfähig?

Werden Informationen für den Deutschen Bundestag zukunftssicher verdichtet?*

Forderung nach Reformierung der Dienste des Deutschen Bundestags

Die Bundespolitik zeigt sich zunehmend überfordert, unsere Zukunft im Sinne einer wehrhaften digitalen Demokratie zu gestalten. Woran liegt das und welche Maßnahmen müssen für ihre Handlungsfähigkeit ergriffen werden?

Unsere Gesellschaft ist inzwischen überspezialisiert. Spezialisten haben sich global in ihrem Spezialgebiet vernetzt und Kommunikationsblasen geschaffen. Die Treiber der Digitalisierung kümmern sich nicht um diese gewachsenen Strukturen. Sie vernetzen, was vernetzbar ist, schlagen alte Strukturen kaputt, optimieren die Prozesse und streben globale Monopole an.
Bei der Frage, ob zum Beispiel Huawei als Lieferant von 5G Komponenten wegen seiner Nähe zu China ausgeschlossen werden soll, wird überdeutlich, dass dem Gesetzgeber und den Verwaltungen die Strukturen und Prozesse fehlen, weiterhin adäquate Entscheidungen treffen zu können. Auslöser für die Diskussion war die Angst, China könnte Huawei beeinflussen, einen sogenannten Killswitch zu benutzen und das gesamte deutsche 5G Netz auf einmal abzuschalten. Außerdem befürchtet man weitgehende Abhörmöglichkeiten durch Hintertüren in der verbauten Technologie. Es wird eine eindimensionale Diskussion von IT-Sicherheitsexperten geführt, welche sich zudem an zentralen IT-Konzepten der Vergangenheit orientieren, weil sie hierfür die Risiken bewerten können.
Tatsächlich handelt es sich um eine Stellvertreterdiskussion für die zunehmenden Probleme einer zentral vernetzten Welt. Denn auch Mitarbeiter bei Cisco oder Mitarbeiter jedes anderen 5G Anbieters haben die Möglichkeit, Updates für Hintertüren oder Killswitches zu installieren. Das Risiko würde weitgehend minimiert, indem man dezentrale Strukturen aufbauen würde, die sich nur, wo unbedingt nötig, zentral verbinden. Auch durch Techniksparsamkeit und Reduzierung von permanenten Updates könnten Risiken minimiert werden.

Will man diese eindimensionale Diskussion verlassen, so muss man sich jenseits vom derzeitigen Stand der Technik auch mit den politisch wahrscheinlichen globalen Entwicklungen beschäftigen.
Heutige Technologieentwicklung wird schon dadurch mehrdimensional, weil Staaten ihre Machtansprüche immer mehr mittels speziell geförderter Technologie durchsetzen wollen. Hat die USA mit dem „Patriot Act“ die Entwicklung einer globalen Überwachungsindustrie gefördert, so wird auch China auf Basis der technischen Entwicklungen seiner Unternehmen seinen globalen Machtanspruch geltend machen. Ab 2020 wird das Social Credit System ein wirkungsvolles Instrument sein, um chinesische Bürger auf Linie zu trimmen. Jeder chinesische Mitarbeiter bei Huawei wird, vorbei an der Unternehmensleitung, den Verhaltensforderungen dieses Systems unterworfen sein. Viel wirkungsvoller als ein Killswitch, der einen offenen Konflikt provozieren würde, ist die schleichende Einführung von Technologie, welche Chinas Machtanspruch manifestiert.

Deshalb ist es allerhöchste Zeit, auch in Deutschland explizit Technologie zu fördern, welche Demokratie erhaltende Strukturen in der digitalen Gesellschaft sicherstellt. So kann eine technische Infrastruktur für Privatheit im Internet die Überwachung zwar nicht verhindern. Allerdings wenn dem Überwachten keine eindeutigen Identitäten zugeordnet werden können, sind diese Daten für Manipulationen unbrauchbar. Eine solche Infrastruktur sollte konsequent nur aus europäischen Hardwarekomponenten aufgebaut werden.
Wir benötigen also keine Verbote ausländischer Produkte, wenn wir da, wo unsere fundamentalen Interessen berührt werden, unsere ganze Kraft auf Eigenentwicklungen konzentrieren.

Wer soll diese mehrdimensionale Sichtweise entwickeln? Es gibt nur noch wenige Generalisten. Am ehesten erfüllen Politiker diesen Anspruch. Täglich müssen sie sich mit anderen Themen auseinandersetzen. Damit Politiker ihrer Aufgabe gerecht werden können, sind sie auf neutrale Hilfe angewiesen. Diese Aufgabe erfüllen im Bundestag die wissenschaftlichen Dienste. Die wissenschaftlichen Dienste wiederum sammeln ihre Informationen im Wesentlichen nicht selbst, sondern erhalten ihre Informationen über Neuveröffentlichungen von Entwicklungen und Wissen über die Bibliothek des Deutschen Bundestags.

Will man Deutschland fit machen für die Förderung gesellschaftlich strukturrelevanter Technologien, so sollte erst einmal überprüft werden, ob die Bibliothek des Deutschen Bundestags als Schaltstelle der für die Politiker relevanten Entscheidungsgrundlagen den exponentiell wachsenden interdisziplinären Anforderungen gewachsen ist.

Im Internet sichtbar ist die Bibliotheksarbeit durch die Literaturtipps. Gemäß Leiter der Bibliothek sind „Literaturtipps nichts anderes als anlassbezogen erstellte Auszüge aus dem Katalog der Bundestagsbibliothek. Sie werden zunächst im Intranet des Bundestages veröffentlicht, weil diese Plattform für die Informationsversorgung der Abgeordneten wesentlich ist. Danach werden sie ins Internet gestellt.“
Die Literaturtipps sind also eine wesentliche Informationsquelle für die Entscheidungen der Bundespolitiker. So wurde aus Anlass des Phishing Angriffs auf den Deutschen Bundestag in 2015 der Literaturtipp „Sicher vernetzt im Parlament“ veröffentlicht. Im Rahmen der Transparenz der Entscheidungsprozesse der Politiker ist es für die Bürger wichtig, auch für die Vergangenheit zu bewerten, was die Politiker gewusst haben. Der Leiter der Bibliothek sieht das anders: „Im Internet werden grundsätzlich nur die Literaturtipps des laufenden Jahres und der beiden vorangegangenen Jahre vorgehalten.“ Danach erhält der geneigte Leser beim Aufruf des Literaturtipps nur noch eine Fehler-404-Meldeseite. Er kann also die Informationsprozesse für die Politik nicht mehr überprüfen.

Schwer nachvollziehbar ist, wenn Bürger selbst die notwendige Transparenz nicht wieder herstellen dürfen. Wer das PDF eines von der Bibliothek gelöschten Literaturtipps auf seiner Webseite zur Verfügung stellt, muss damit rechnen, vom Justitiariat des Deutschen Bundestags wegen Urheberrechtsverletzung mit Androhung von „empfindlichen juristischen Konsequenzen“ abgemahnt zu werden.
Auch konnte mir auf Nachfrage kein weiterer Literaturtipp genannt werden, welcher im weitgehenden Sinn das Thema IT-Sicherheit noch einmal aufgegriffen hätte. Die Bibliothek ist offensichtlich nicht in der Lage, mit Blick auf die Zukunft Informationen bereitzustellen, sondern reagiert erst anlassbezogen, wenn das Kind zum Beispiel in Form eines Phishing Angriffs in den Brunnen gefallen ist.

Eine Reform an dieser wichtigen Schaltstelle scheint mir als erster Schritt in die richtige Richtung unumgänglich zu sein. Zu prüfen wäre in einem zweiten Schritt, ob sich die wissenschaftlichen Dienste den verändernden Anforderungen gewachsen zeigen. Denn der Gesetzgeber muss in Zukunft lernen, zu agieren und nicht zu reagieren. China, Russland und auch die USA tun es längst und haben sonst auch bei uns die Zügel in der Hand.

Olaf Berberich

*Innenansicht der Reichstagskuppel mit Ausstellung „Vom Reichstag zum Bundestag“. Nutzungsbedingungen: http://www.bundestag.de/bildnutz.Es werden nur einfache Nutzungsrechte eingeräumt, die ein Recht zur Weitergabe der Nutzungsrechte an Dritte ausschließen.

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