Die Datenschützerin – Bonn – Februar 2007, 14. Teil, Kapitel II

Meike  Assbach  hatte  eine  makellose  Verwaltungskarriere  hinter  sich  gebracht.   Als  Volkswirtin  hatte  sie  promoviert  und  zudem  einen  Abschluss  in  Informatik.   Anschließend  hatte  sie  ein  Rechenzentrum  geleitet.   Bei  Daten  konnte  ihr  nicht  so  leicht  jemand  etwas  vormachen.   Nachdem  sie  die  einzige  weibliche  Landesbeauftragte  für  Datenschutz  gewesen  war,  war  es  sicherlich  hilfreich,  dass  die  Bunderkanzlerin  Wert  darauf  legte,  Schlüsselpositionen  mit  qualifizierten  Frauen  zu  besetzen. Assbach  hatte  während  ihrer  bisher  zweijährigen  Amtszeit  als  Bundesbeauftragte  für Datenschutz  schon  viel  durchgesetzt. Alle  neuen  Video–  und  Audioaufzeichnungsgeräte  wurden  mit  einem  Leser  für  den  Schlüsselchip  der  Achtcard  versehen.   Aufzeichnungen  waren  nur  möglich,  nachdem  eine  Achtcard  eingelegt  war  und  so  bei  richterlicher  Anordnung  aufgrund  eines  konkreten  Tatverdachts  eindeutig  identifiziert  werden  konnte,  wer  welche  Aufzeichnung  wann  gemacht  hatte.  

Dies  verteuerte  der  Geräte  kaum,  da  inzwischen  die  meisten  neuen  Geräte  gleichzeitig  als  Handy  funktionierten.   Durch  die  hohen  Stückzahlen  war  der  Herstellungspreis  für  den  Achtcard – Reader  auf  unter  2,–  Euro  gefallen.   Unsichtbar  wurde  in  jedes  Audio–  und  Videofile  der  Tagesstempel  mit  dem  Schlüssel  des  Aufnehmenden  gelegt.   Sendefähige  Geräte  sendeten  gleichzeitig  den  Tagesstempel  an  ein  spezielles  Medientrust – Rechenzentrum.   Handys  sendeten  zusätzlich  entweder  ihre  Sendezone,  oder wenn  sie  GMS – fähig  waren,  ihre  Position.

Bei  Verdacht  konnte  jeder  Bürger  verlangen,  dass  ihm  nachgewiesen  wurde,  dass  keine  Aufzeichnung  stattgefunden  hatte.   Hierzu  rief  das  Datenschutzamt  vom  Medientrust – Rechenzentrum  alle  am  entsprechenden  Ort  zur  entsprechenden  Zeit  vorgenommenen  Aufzeichnungseinträge  ab.   Bestätigte  sich  ein  Verdacht,  war  die  Auskunft  kostenlos,  sonst  wurde  der  Aufwand  dem Antragsteller  berechnet.

Die  Inhalte  der Aufzeichnungen  konnte  man  natürlich  einem  solchen  Bericht  nicht  entnehmen.  

In  Ihrer  Doktorarbeit  hatte  Assbach  die  speziellen  Suchalghorytmen  entwickelt,  welche  der  BND  noch  heute  einsetzt,  um  im Internet  Video–  und  Audiodateien  ohne  Signatur  oder mit  falscher  Signatur  aufzuspüren.

Hierfür  wurden  spezielle  Filterserver  an  den  Knotenpunkten  der Hochgeschwindigkeitsleitungen  zwischengeschaltet.   Wurde  also  z. B.   von  einer  Al Kaida  Homepage  ein  nicht  mit  Signatur  versehenes  Video  abgerufen,  so  blieb  dies  im  Filter  hängen.   Nur  mit  einer  speziellen  richterlichen  Genehmigung  durften  die IP – Adressen  der  Empfänger  gespeichert  werden.   Natürlich  würde niemand  so  dumm  sein,  beim  Besuch  einer  solchen  Seite  seine  Achtcard  im  Leser  zu  lassen  und  so  eine  Signatur  als  personalisierte  Spur  zu  hinterlassen.   Auf  vielen  Büroservern  und  Privatrechnern  war  ein  Einstieg  ins  Internet  nur  noch  über  die www. finders. de  des  FINDERS – Konsortiums  möglich,  solange  man nicht  die Standardoptionen  des  Browsers  veränderte.  

Da  durch  die  finder – Technologie  User – Abfragen  verstanden  und  zu  entsprechenden  Kategorien  gelenkt  wurden,  gab  es bei  „Nazi  z. B.   unter  der  Kategorie  „Ad – Hocmeldungen“  die  Möglichkeit,  aktuelle  Meldungen  aus  den Tageszeitungen  abzurufen  oder unter  „Geschichte“,  die  Vergangenheit  in  Wikipedia  nachzulesen  oder unter  der  Kategorie  „Anwälte“  einen  Anwalt  zu  finden.   Das  Aufrufen  von  Naziseiten  im  Internet  war  nicht  mehr  so  einfach  möglich.   Eine  Änderung  der  Einstellungen  war  zum  Jugendschutz  nur  mit  der Schlüsselseite  der  Achtcard  möglich. Diese  nahm  Verbindung  zum  Passrechenzentrum  auf.   Im  Passrechenzentrum  wurde  das  aktuelle  Datum  mit  dem Geburtsdatum  der  Cardbesitzers  verglichen  und  an  den  Browser  übermittelt,  ob  die  Person  18  Jahre  alt  war.   Nur  nach  Autorisierung  durch  das  Rechenzentrum  war  eine  Änderung  möglich.   Dieses  komplizierte  Verfahren  funktionierte,  ohne  dass  hier  personenbezogene  Daten  übermittelt  werden  mussten.        

Meike  Assbach  blätterte  in  einer  langen  Liste  von Namen  aus  dem Überprüfungsbereich  der  Superusercard – Inhaber.   Über  200  Besitzer  einer  Superusercard  produzierten  eine  Menge  Papier  durch  die  von  Richtern  genehmigten  Überwachungen.   Üblicherweise  wurde  die  Achtcardnummer  des  jeweiligen  Richters  miterfasst.   Meike  Assbach  hatte  sich  für  diese  Kontrolllisten  direkt  mit  Christian  Wolff  auseinandergesetzt  und  darauf  bestanden,  dass  er  noch  nicht  einmal  seine  Vorgesetzten  von  dieser  Überprüfungsmöglichkeit  informierte.   Nie  hatte  sie  Kaminski  überprüft,  schließlich  ging  sie  davon  aus,  dass  er  immer  wieder  den  ein  oder anderen  Test  durchführen  musste.

Doch  heute  fiel  ihr  Blick  zufällig  auf  ihren  Namen.   Ungeheuerlich,  wer  hatte  es  gewagt,  ihre  R – Faxe  und  ihren  Browserverlauf  aufzuzeichnen.   Ihr  Blick  fiel  auf  den  Namen:  „Willi  Kaminski“.   Sie  wollte  es nicht  glauben.   Hektisch  ging  sie  an  den  Computer  und  musste  sich  mehrfach  neu  einloggen,  weil  sie  viel  zu  gestresst  war,  um  die  Erfassung  ihrer  biometrischen  Daten  abzuwarten.    

Sie  selektierte  die  Daten  nach  Willi  Kaminski.   „4335  Datensätze“  wurden  angezeigt.  

Nun  selektierte  sie  erneut  Superuser  „Willi  Kaminski“,  genehmigt  „ist  leer“. Sie  erhielt  erneut  4335  Datensätze.  

Anschließend  selektierte  sie  „Willi  Kaminski“  und  bei  Objekt  „Meike  Assbach“.  Eine  Liste  mit  56  Einträgen  erschien.   Assbach  druckte  die  Liste  fassungslos  aus.   Sie  verglich  die Termine  im Kalender  ihres  Handys  mit  denen  auf  der  Liste  und  stellte  fest,  jeweils  einen  Tag  nach  dem  Datum  in  der Liste  hatte  sie  Kaminski  in  einer  Sitzung  getroffen.   Assbach  zögerte  nicht  lange,  sie rief  ihre  Sekretärin  zu  sich.   „Alles  auf  stopp.   Ich  möchte  alle Abteilungsleiter  in  15  Minuten  bei  mir  sehen.   Und  bereiten  sie  alles  für  einen  Sonderdatenschutzbericht  vor. “  So  aufgeregt  war  sie  noch  nie  gewesen.    

Dann  griff  sie zum  Telefon.   „Ja,  es ist  unbedingt  erforderlich,  dass  ich  den  Bundespräsidenten  direkt  spreche. “ 

Nicht  einmal  zwei  Minuten  später:  „Köhler“.  

„Guten  Tag  Herr  Bundespräsident,  hier  Meike  Assbach.   Es  gibt  einen  ungeheuerlichen  Vorfall  zur  Datenschutzverletzung.   Er  betrifft,  äh,  er  betrifft  Willi  Kaminski. “  

Ideengeber – Rhône, Frankreich – einige Tage später, 13.Teil, Kapitel II

Brigitte  hatte  noch  immer  ein  schlechtes  Gewissen  und  ich  hatte  noch  immer  schlechte  Laune.   Ich  versuchte  nicht,  ihr  auszureden,  dass  sie  Schuld  an  dem  schicksalhaften  Gespräch  mit  Kaminski  hatte.   Immerhin  profitierte  ich,  indem  sie  einen  größeren  Teil  der  Hausarbeit  übernahm.   Auch  beim  Essen  gab  sie  sich  besonders  viel  Mühe,  während  ich  meinen  Part  auf  das  zur  Verfügung  stellen  von  Fertiggerichten  beschränkte. An  diesem  Morgen  wandelte  sich  Brigittes  Stimmung.  

Sie  war  wütend:  „Ich  kann  Dein  ewiges  Selbstmitleid  nicht  ertragen.   Es  ist  doch  gar  nichts  passiert.   Dann  werden wir halt  ein  Onlinekonzept  erarbeiten,  das  besser  ist  als  das  von  den  französischen  Onlineshops. “ „Schuster  bleib  bei  Deinen  Leisten“  sagte  ich  wenig  begeistert.  

„Unser  Vorteil  ist  seit  jeher,  dass  wir  Trusted  Internet  für  alle  bieten. “   

„Schatz,  kann  das  sein,  dass  Du  durch  den  ganzen  Erfolg  ein  wenig  verwöhnt  bist?  Ich  rede  nicht  davon,  dass  wir  Konzepte  von Onlineshops  kopieren.   Das  würde das  FINDERS – Konsortium  nie  mitmachen.   Unsere  Stärke  ist,  dass  wir  3000  Herstellershops  hinter  uns  haben  und  jede  Menge  Erfahrung  als  Spezialisten. “ „Wofür  braucht  man denn  die  Geschäfte  vor  Ort?“ 

„Na,  das  ist  doch  klar.   Passende  Schuhe  muss  man anprobieren. “

„Was  willst  Du  denn  verändern,  kostenlose  Lieferung  bietet  FINDERS  doch  schon  an. “

„Ole,  in  welchem  Preissegment  sind  wir  denn  tätig?“

Plötzlich  wusste  ich,  auf  was  Brigitte  herauswollte.   Unser  Vorteil  war,  dass  wir  eine  zentrale  Clearingstelle  für  3000  Schuhhersteller  waren.   Der  Trend  ging  immer  mehr  zu  Maßschuhen.   Wenn  wir  nun  zentral  den  Trittschaum  für  alle  Kunden  vorhielten,  dann  konnten  alle Hersteller  sich  diesen  Trittschaum  zuschicken  lassen. „Du  meinst  Trittschaum?“

Brigitte  lächelte:  „  Na,  ist  das nicht  eine  gute  Idee“.

Plötzlich  lächelte  ich  auch. “  Ha,  das geht  noch  besser  „ stolz,  doch  noch  was  Entscheidendes  beigetragen  zu haben.   „  Es  reicht,  wenn  man von  jedem  Trittschaum  einmal  einen  3D – Scan  macht.   Dann  muss  man den  Herstellern  nur  noch  die  CNC – Daten  schicken  und  mit  CNC – Bearbeitungszentren  können  die  Maßschuhe  fast  so  günstig  wie  Kleinserien  produzieren. “    

Rückblick auf das Jahr 2006

In  den  USA  kaufte  Google  youtube  und  einige  Chatdienste  und  baute  so die größte  Community  auf.  2006  hatte  man auch  entschieden,  dass  es  nicht  sinnvoll  war,  sich  alleine  auf  Werbeeinnahmen  zu  verlassen.   Alle  technischen  Neuerungen  sollten  in  Zukunft  von  Google  kommen.   Also  baute  man eine  eigene  Patentsuchmaschine  auf  und  listete  bereits  im ersten  Jahr  über  7  Millionen  Patente. 

In  Deutschland  wurden  Mehrfachpakete  Standard.   Man  konnte  bei  unterschiedlichsten  Herstellern  und  in  unterschiedlichsten  Kategorien  Waren  bestellen.   Alles  wurde  in  einem  Paket  ohne  Versandkosten  geliefert.   Entweder  man gab  den  Zeitpunkt  an,  zu  dem  man zuhause  war  oder bestellte  es  zur  Packstation  oder zu  einer  der  regionalen  Anlaufstellen,  die  man im  Laufe  der  Woche  sowieso  aufsuchen  wollte.   Natürlich  funktionierte  die  Packstation  zusammen  mit  der  Achtcard.   Als  weitere  Anlaufstelle  wurden  ein  Tankstellenshopsnetzwerk  ausgebaut.  

Es  war  der  Initiative  des  Einzelhandelsverbands  zu  verdanken,  dass  Kunden  Pakete  bei  einem  Einzelhändler  der  Wahl  abholen  konnten.   Dies  entpuppte  sich  im Nachhinein  als äußerst  kluge  Entscheidung.   Durch  die finder – Technologie  wurde  die  gesamte  Benutzereingabe  online  Kategorien  zugeordnet.   Hierdurch  entstand  wie  auch  in  den  anderen  Bereichen  eine  komplette  Umstrukturierung  der Handelsabläufe.   Spezialanbieter  konnten  sich  nun  ganz  auf  einen  Bereich  konzentrieren.

Früher  fand  man im  Schuhladen  Schuhe.   Heute  traf  man online  unter  der  Kategorie  Schuhe  die  Auswahl.   Das  haptische  Erlebnis  fand  weiterhin  in  neu  entstandenen  Erlebniseinkaufszentren  statt.  

Hier  konnte  man  sich  mit  Freunden  treffen.   Kleidung  anprobieren  und  Freunden  zeigen.   Was  einem  gefiel,  behielt  man,  was  einem  nicht  gefiel,  schickte  man zurück.   Dadurch,  dass  die  Kosten  für  die  „letzte  Meile“  vom  Logistikcenter  zum  Kunden  oder Händler  auf  mehrere  Bestellungen  verteilt  wurden,  war  es  möglich,  alle  Bestellungen  innerhalb  von 3  Tagen  kostenlos  zu liefern.   Nur  wer  etwas  sofort  haben  wollte,  zahlte  einen  Expresszuschlag.

Der  CO2 – Ausstoß  wurde  durch  die  Mehrfachpakete  um  über  20%  reduziert. In  Deutschland  formierte  sich  der  Widerstand  der  Werbewirtschaft  gegen  FINDERS,  da  man an  breiter  Front  das  Einbrechen  von  Werbeeinnahmen  befürchtete.  

In  Frankreich  wurde  in  einem  Pilotprojekt  das  zentrale  Speichern  von  Daten  für  Maßschuhe  getestet.   Das  Projekt  wurde  ein  großer  Erfolg.   Da  nur  Kunden  mit  einem  Achtcard – Gerät  an  dem  Projekt  teilnehmen  konnten,  sorgte  die Möglichkeit,  immer  wieder  auf  die  Maßdaten  eines  Kunden  zugreifen  zu  können,  auch  im  Frankreich  zu  einer  immer  schnelleren  Verbreitung  des  Achtcardgeräte  im  Premium  Kundensegment.  

  • Die Patentanmeldung zum Steuersystem für Schließfächer  finden Sie in  http://www.dpma.de unter der Anmeldenummer DE 100 22 935 A1.

Das große Scheitern – Liegeplatz in Avignon – 1 Monat später, 12 Teil, Kapitel II

Brigitte  und  ich  hatten  uns  warme  Kleidung  angezogen  und  saßen  auf  dem  Deck  unseres  Schiffes,  um  den  Sonnenuntergang  anzusehen.   Dieses  Ritual  nahmen  wir  selbst  im  kältesten  Winter  wahr  immer  dann,  wenn  wir  zutiefst  frustriert  waren.  

„Das  geht  so nicht  weiter,  keiner  unternimmt  was.   Wir  fahren  das  Projekt  in  Frankreich  gegen  die  Wand.   Wenn  nicht  alle  ihre  Achtcard  benutzen,  um  die  tägliche  Post  abzurufen,  wird  es  Jahrzehnte  dauern,  bis  sich  der Handel  umstellt.   Die  Franzosen  sind  wirklich  freundlich  zu uns.   Aber  letzen  Endes  bleiben  sie  bei  ihren  alten  Gewohnheiten. “ 

„Du  hast  recht  Ole,  Du  musst  es ihm  sagen.   Die  Kosten  für  das  Pilotprojekt  sind  bestimmt  bereits  jetzt  weit  über  Limit.   Entweder  ist  die gesamte  Agenda  2010  mit  der  Europäisierung  gefährdet  oder FINDERS  macht  so wie  bisher  ohne  Händleranbindung  im  Ausland  weiter  und  verkauft  online.   Mal  ehrlich,  für unsere  Agentur  wäre  das  gut.   Dann  würde es  keine  ausländischen  Agenturen  geben  und  wir würden  den gesamten  Schuhumsatz  begleiten. “

„Wen  meinst  Du?  Kaminski?  Warum  ich?“ 

„Weil  wir vor  Ort  sind.   Weil  die,  die FINDERS  hier  vertreten,  Kaminski  nie  eine  Schlappe  eingestehen  werden.   Weil,  weil,  weil  Du  es  kannst  und  schließlich  haben  wir  die  größte  Agentur“.  

Ich  schob  die  Luke  zur  Seite  und  wir  stiegen  die Sambatreppe  in  die  Messe  hinab.   Gemütliche  Wärme  umfing  uns.  

 „Morgen  um  10. 00  Uhr,  das  ist  eine  gute  Zeit. “ 

 „O. k. ,  aber  morgen  bestimmt“.    

Am  nächsten  Morgen: „Kaminski,  hallo  Frederichs“.  

„Hallo  Herr  Kaminski,  wir kommen  hier  nicht  voran.   Wir  sollten  nur  in  Länder  gehen,  in  denen  gleichzeitig  der  Briefverkehr  digitalisiert  wird. “ 

Kaminski  hatte  es  sich  angewöhnt,  in  jedem  Projekt  einen  Maulwurf  in  unbedeutender  Position  zu  installieren,  mit  dem  er  ständig  in  Kontakt  war.   Er  war  also  bestens  über  die  Probleme  vor  Ort  informiert.   „Wer  sagt  das?“ 

„Ich  bin  als  Kategorienmanager  ja  quasi  neutraler  Beobachter  und  hielt  es  für  meine  Pflicht  …“  

 „Also  sie  sagen , dass.   Übernehmen  sie  für  den  Projektabbruch  und  die  Neuausrichtung  des  Projekts  die  Verantwortung?“ 

„Ich,  aber  ich  bin  doch  nur  Kategorienmanager. “ 

„Ich  erwarte  von  allen  Beteiligten,  dass  sie  sich  gut  überlegt  haben,  ob  sie  mich  anrufen  und  Verantwortung  übernehmen. “ 

„Aber  Herr  Kaminski. .   . “  

„Frederichs,  Sie  haben  sich  ausgerechnet,  dass  sie  den  ganzen  Schuhumsatz  erhalten.   O. k.   ich  sorge  dafür  und  vermerke,  dass  das Projekt  in  Avignon  auf  Grundlage  Ihres  Insistierens  abgebrochen  wurde. “ 

Ich  war  schweißgebadet  und  zitterte  am  ganzen  Körper.   Ich  hatte  das  Gefühl,  als  habe  Kaminski  die Gesamtverantwortung  der  Agenda  2010  auf  mich  abgewälzt.  

Missionare – Avignon, Frankreich – November 2006, 11, Teil, Kapitel II

„Herr  Frederichs,  sie  erwarten  also  von  uns,  dass  wir  in  unserem  Geschäft  Schuhe  von  3000  Herstellern  anbieten.   Wer  qualifiziert  den meine  Verkäuferinnen?“ 

Ich  hatte  nicht  mit  soviel  Widerstand  gerechnet.   „Ihre  Verkäuferinnen  müssen  umlernen.   Sie  müssen  noch  kompetenter  in  Geschmacksfragen  werden.   Deshalb  werden alle unsere  Trendscouts  in  den  nächsten  Wochen  einen  Vortrag  halten. “ 

„Meine  Verkäuferinnen  haben  alle  eine  Ausbildung.   Wie  stellen  Sie  sich  das  vor,  Schulung?  Wir  müssen  verkaufen!“ 

„In  der  Testphase  wird  Ihnen  nicht  nur  der  Arbeitsausfall  der  Verkäuferinnen  während  der  Schulungszeit  bezahlt.   Eventuelle  weitere  Kosten,  bzw.   von  uns  verschuldeten  Umsatzrückgang  gleichen  wir auch  aus. “  „Unsere  Verkäuferinnen  sprechen  kein  Englisch. “  Da  sprach  ein  Schuhhändler  eine  Kernherausforderung  der Expansion  an.    

Warum  sich  FINDERS  ausgerechnet  für  Frankreich  als  Testland  entschieden  hatte,  war  mir  ein  Rätsel.   Alle  unsere  Mitarbeiter  sprachen  fließend  Englisch.   Aber  Französisch? Dabei  war  eine  Menge  Vorarbeit  geleistet  worden. Jedes  der  3000  Herstellerportale  konnte  vom  User  bereits  auf  französische  Sprachversion  eingestellt  werden.     

Nun  waren  wir  also  an  unserem  Winterliegeplatz  in  Avignon  angekommen.   Hier  sollten  wir  als  eine  der  umsatzstärksten  Kategorienagenturen  am  ersten  Pilotprojekt  für  die  Einführung  von  Mehrfachpaketen  im Ausland  als Berater  teilnehmen.   Natürlich  hatten  sich  alle  Kategorienagenturen  um  diesen  Job  gerissen.   Mein  Argument,  dass  ich  mein  Büro  dann  komplett  in  Avignon  hätte,  gab  schließlich  den  Ausschlag.    

Ein  durchschnittlicher  französischer  Mann  gab  viel  mehr  Geld  für Schuhe  aus,  als  ein  Deutscher.   Durch  unseren  Pariser  Trendscout  hatten  wir  uns  natürlich  vorher  intensiv  mit  den lokalen  Gegebenheiten  beschäftigt.   500  französische  Hersteller  waren  bisher  mit  ihren  Internetshops  in  das  TFax  – Format  eingebunden  worden,  konnten  also  Bilder  über  Fax  anklickbar  machen.   Bisher  war  es  nicht  gelungen,  die französische  Regierung  für das Projekt  zu begeistern.   Es  ging  also  um  einen  rein  kommerziellen  Test.   Avignon  war  vom  FINDERS – Konsortium  deshalb  ausgewählt  worden,  weil  die  statistische  Analyse  ergab,  dass  diese  Stadt  sowohl  im  Kaufverhalten  als  auch  in  der  Durchdringung  des  Internets  dem  Frankreich – Durchschnitt  entsprach. Wie  überall  auf  der  Welt  hatten  sich  experimentierfreudige  Ausländer  bereits  ein  Achtfachgerät  gekauft.   Im  Ausland  war  der  Kauf  von  Tickets  und  der  Notruf  nicht  freigeschaltet.   Das  Projekt  wurde  von  deutschen  Banken  gesponsert,  die  expansiv  in  Frankreich  tätig  waren.   Franzosen,  welche  an  dem  Modellversuch  teilnehmen  wollten,  mussten  Kunde  einer  deutschen  Onlinebank  werden.   Anders  als in  Deutschland  wurde  der Briefverkehr  in  Frankreich  nicht  abgeschafft.   Die  Anreize  reichten  einfach  nicht  aus,  um  den  Durchbruch  zu schaffen.

FINDERS  hatte  das  Ziel  definiert,  das  komplette  in  Deutschland  innerhalb  von 7  Jahren  durchgesetzte  System  auf  Avignon  innerhalb  von  6  Monaten  zu übertragen.  

 

Beruf und Freundschaft – Rhône, Frankreich – Oktober 2006, 10. Teil, Kapitel II

Laut  stampfte  der alte  Diesel.   Das  Wetter  wurde  schlechter  und  wir  fuhren  jedes  Wochenende  die Rhône  ein  Stück  weiter  hinunter  zum  Mittelmeer.   Wenn  man mit  unter  10  Knoten  Geschwindigkeit  auf  einem  Fluss  fährt,  dann  hat  man das  Gefühl,  sich  in  einer  anderen  Zeit  zu  befinden.   Die  großen  Städte  waren  vom  Fluss  aus  meist  nicht  zu sehen.   Zum  Einkaufen  von  Brot  und  was  wir  sonst  an  frischen  Sachen  brauchten,  waren  wir  auf  die  Läden  am  Fluss  angewiesen.   Unser  Smart  war  gut  vertäut  auf  dem  Vorderdeck  untergebracht.   Über  eine  Stunde  dauerte  es,  ihn  an  Land  zu hieven.   Bei  kurzen  Aufenthalten  nahmen  wir  deshalb  immer  die Fahrräder.   Die  großen  Einkaufszentren  hatten  längst  fast  jede  dörfliche  Handelsinfrastruktur  zerstört.   Wir  lernten  die  Dörfer  aus  dem  Blickwinkel  der  alten  Menschen  kennen,  welche  auf  den  Einkauf  in  der  unmittelbaren  Umgebung  angewiesen  waren.   Meist  waren  die  Kinder  den  Arbeitsplätzen  in  die  Städte  gefolgt.   Die  Alten  blieben  trotzdem.   

Dieses  Wochenende  hatten  wir  Isabella  Talik,  unseren  Trendscout  aus  New  York,  ihren  Freund  Levis  und  Shaona  Magu  auf  unser  Boot  eingeladen.   Isabella  hatte  ich  auf  einer  Schuhmesse  kennen  gelernt.   Sie  war  sehr  intensiv  mit  einem  Designer  in  eine  Diskussion  verstrickt  gewesen.   Ihre  Argumente  und  ihre  offene  Art  hatten  mir  so  gut  gefallen,  dass  ich  sie  spontan  für die offene  Stelle  in  New  York  engagierte.   Ich  hatte  bereits  zahlreiche  Bewerbungsgespräche  hinter mir,  meist  mit  jener  Art  affektierter  Geschöpfe,  die  meinen,  Geschmack  hat  derjenige,  der  besonders  viele  sinnentleerte  Worte  benutzten  kann.   Gerade  für das verrückte  Pflaster  New  York,  da  brauchte  ich  jemand  mit  Bodenhaftung  und  genau  so  konnte  man Isabella  beschreiben. Ich  half  Brigitte  beim  Beziehen  der  Betten  und  ertappte  mich  mal  wieder  dabei,  wie  ich  heimlich  darüber  haderte,  dass  wir Fuhrleute  meist  ohne  Reinigungspersonal  auskommen  mussten. Das  Telefon  schellte.   Brigitte  reagierte  schneller  als  ich,  mit  dem  Ergebnis,  dass  ich  bei  der  unliebsamen  Arbeit  nun  auch  noch  alleine  blieb.  

Pünktlich  nachdem  ich  alle  Betten  fertig  bezogen  hatte,  kam  sie  zurück  und  strahlte  über  beide  Wangen.   „Max  war  das.   Er  scheint  gut  mit  seiner  Diplomarbeit  voranzukommen.   Er  hat  sich  wieder  frisch  angehört.   Und  Grüße  von  Maya.   Die  hat  ihn  wohl  in  letzter  Zeit  häufiger  besucht.   Schön,  dass  sich  die Kinder  so  gut  verstehen.

“ Ich  hatte  wahrgenommen,  dass  das  Muttertier,  welches  meine  Frau  nun  mal  war,  sich  in  letzter  Zeit  um  Max  Sorgen  gemacht  hatte.   Ich  fand  es  damals  ganz  normal,  dass  er  ein  etwas  ausschweifendes  Studentenleben  hatte  und  keine  Zeit  uns  anzurufen. Erst  Jahre  später  erfuhr  ich,  wie  schlimm  es  damals  um  Max  stand.  

Die  Gäste  kamen  überpünktlich.   Von  Anfang  an  schienen  sich  alle bestens  zu  verstehen. Beim  Abendessen  sprachen  wir  dann  zwangsläufig  über  die  Arbeit.   Isabella  hatte  mit  Shaona  schon  beruflich  mehrere  Male  telefoniert.   Sie  war  gespannt,  jemanden  aus  der  Semantikredaktion  kennen  zu  lernen.  

„Herr  Frederichs“  begann  sie,  als  wir  alle  in  der  Messe  unseres  Kohlefrachters  in  gemütlicher  Runde  saßen.   „Also,  wenn  ihr  einverstanden  seid,  duzen  wir  uns,  ich  heiße  Ole“.   „O. k. ,  also  Ole,  habt  ihr  noch  immer  so  viele  Probleme  mit  der Schuhfetisch  Community?“

„Ich  finde,  Marga  macht  ihren  Job  sehr  gut. “  Nun  Freizeit  hin  oder her,  aber  wenn  man auch  mit  seinem  Job  verheiratet  ist,  trennt  man nicht  so  genau.   Also  holte  ich  aus:  “Inzwischen  hat  die  Schuhcommunity  über  100  neue  Beiträge  am  Tag,  da  muss  man schon  sehr  aufpassen,  dass  einem  nicht  der  ein  oder andere  Beitrag  durchgeht.   Schließlich  gibt  es immer  Exhibitionisten,  welche  die  Foren  für ihre  Zwecke  missbrauchen  wollen.   In  den  offiziellen  Fetischforen  können  sie  halt  keinen  mehr  schockieren.   Außerdem  sind  die  erst  ab  16  Jahren  freigeschaltet.   Es  ist  ein  Seiltanz,  welche  Beiträge  schockieren  und  welche  nicht.   Aber  schließlich  heben  wir uns  immer  noch  deutlich  in  der Qualität  unserer  Communities  von  den  nicht  eingebundenen  Suchmaschinen  ab.  

Mal  was  anderes,  Isabella,  wir liegen  jetzt  bei  fast  3000  Schuhherstellerseiten  weltweit.   Ich  finde  unsere  Trendscouts  müssen  sich  noch  wesentlich  besser  absprechen,  welche  Hersteller  wir  aufnehmen.   Shuelook  hat  jetzt  zum  zweiten  Mal  Schuhe  im  italienischen  Stil  in  sein  Programm  mit  aufgenommen. “

 „Was  soll  ich  denn tun,  wir können die Hersteller  nicht  zu  sehr  gängeln,  sonst  kommen  die  noch  auf  die  Idee  und  machen  Suchmaschinenmarketing. “ 

„Also,  wir  sind  bei  über  50%  Marktanteil  weit  entfernt  davon,  dass  uns  die  Hersteller  zu  den  Suchmaschinen  abspringen.   Sicher,  seit  dem  wir  immer  intensiver  die  Qualität  der Shopergebnisse  und  die  Communitybewertungen  in  die  Reihenfolge  der  angezeigten  Produkte  mit  einbeziehen,  sind  die  Umsätze  erheblich  angestiegen.   Hersteller  mit  guten  Sites  müssen  für ihren  Einsatz  belohnt  werden.   Aber  unsere  Suchempfehlungen  müssen  sich  vom  breiten  Massenmarkt  unterscheiden.   Bei  Anfragen  nach  italienischen  Schuhen,  welche  auf  einer  amerikanischen  Herstellerseite  landen,  fühlt  sich  der  User  in  die  Irre  geführt.   Das  verstößt  gegen  Regel  1  zur  Kategorienbildung!“  

Brigitte  mischte  sich  ein:“  Das  darf  nicht  passieren.   Sonst  verlieren  wir  einen  wesentlichen  Vorteil  gegenüber  den  freien Suchmaschinen.   Wir  wissen  außerdem  nicht,  wann  Brüssel  aktiv  wird  und  eine  Expansion  in  andere  EU – Länder  nur  zulässt,  wenn  das  FINDERS – Konsortium  den TFax – Standard  auch  für andere  Anbieter  öffnet. “ 

Isabellas  Gesicht  war  leicht  gerötet.   Levis  drückte  beruhigend  ihren  Arm.   Beruflich  war  sie  sehr  ehrgeizig  und  fand  die  Kritik  ungerecht.   „Brigitte,  du  weißt,  das  Problem  kann  am  besten  der Semantikmanager  lösen.   Warum  hat  denn  das  FINDERS  – Konsortium  den Kategorienfilter  entwickelt?  Damit  „Schuhe  Italien“  genau  wie  „italienische  Schuhe“  zu  den  betreffenden  Herstellern  verlinkt  werden.   Was  kann  Shuelook  dafür,  wenn  Sucheingaben  wie  „italienische  Art“  oder „italienischer  Stil“  zu  Shuelook  führen?“  Shaona  mischte  sich  ein:  „Also,  uns  ist  es  strikt  verboten,  auf  Einzelbedürfnisse  von  der  Händlerseite  einzugehen.   Wenn  ich  solch  eine  Beeinflussung  vornehmen  würde,  würde ich  sofort  meinen  Job  verlieren.   Suchergebnisse  hinter  den  Kategorien  bekommen  wir  nie  zu  sehen.   Für  uns  gilt  nur  die  Regel  1,  wie  Ole  schon  sagte !“

Ich  konnte  nicht  zulassen,  dass  Brigitte  meine  Prügel  abbekam.   „Isabella,  mach  mal  halblang.   Du  weißt  genau,  dass  ich  den  Semantikmanagern  keine  Anweisungen  geben  darf.   Das  finde  ich  auch  gut  so.   Schließlich  orientieren  sich  die  Semantikmanager  alleine  an  der  eindeutigen  Unterscheidung  von Kategorien  aus  Kundensicht.   Die  Semantikmanager  führen  Schuhe  zum  Schuhgeschäft,  basta.   Damit  ist  sichergestellt,  dass  nicht  wie  bei  den  Suchmaschinen  die  Schuhsuche  beim  Parfüm  landet,  nur  weil  so  eine  Werbetussi  herausgefunden  hat,  dass  Frauen,  die  italienische  Schuhe  kaufen,  auch  Parfüm  mögen.   Ein  Vergleich  mit  den Suchmaschinen  ist  doch  Unsinn,  schließlich  sind  wir  vorgeschaltet  und  übergeben  die  Ergebnisse  ja  auch  –wenn  sinnvoll  an  Spezialsuchmaschinen. “

Plötzlich  fielen  Brigitte,  Shaona  und  Isabella  gemeinsam  über  mich  her.  

„Was  sollen solche  Chauvi  Sprüche,  Werbetussi,  ha?“  Alle  lachten  und  die  Stimmung  war  gerettet.  

Schuhmachermeister(in) für Start-Up oder Firmenerweiterung gesucht

Wir suchen einen Schuhmachermeister(in) für eine bestehende Maßschuhmanufaktur.
Das Unternehmen ist im Onlinevertrieb eingeführt und verfügt über ein außergewöhnliches Schuhdesignkonzept mit optimierter Homepage.
Für die noch nicht ausgeschriebene Kategorie Herrenmaßschuhe besteht die Empfehlung durch die PRIMUS Jury für die Domain zur Endauswahl. Somit ist durch uns ein Coaching und anschließende Aufnahme in das Synergienetzwerk Mittelstand möglich.

Interessenten wenden sich bitte an: http://www.gettime.net/scripts/pb/kontakt.asp?betreff=Bewerbung-Massschuhe“ .

Ihr get-PRIMUS Team

Komplexität – Heidelberg – am nächsten Morgen, 9. Teil, Kapitel II

Als  Maya  morgens  den Rolladen  öffnete  und  frischen  besonders  starken  Kaffee  ans  Bett  brachte  sah  sie erst,  wie  ausgezehrt  Max  war.   Die  Morgensonne  beleuchtete  das Gesicht  eines  Mannes,  der  zehn  Jahre  älter  wirkte.   Mühsam  setzte  sich  Max  auf  und  zwang  sich  zu einem  Lächeln.  

„Du  bist  lieb.   So  lang  habe  ich  schon  ewig  nicht  mehr  geschlafen. “

Maya  unterdrückte  Tränen:“  Max,  wie  konnte  es nur  so weit  mit  Dir  kommen“.

„Was  meinst  Du“  tat  er  ungläubig.   „Die  Diplomarbeit  stresst  mich  halt. “

Jetzt  wurde  Maya  wütend:  “Hör  auf,  mir  was  vorzumachen.   Ich  glaube  nicht,  dass  Du  die  letzten  Wochen  an  Deiner  Diplomarbeit  gesessen  hast.   Wann  hast  Du  das  letzte  mal  richtig  gegessen?  Wann  hast  Du  das  letzte  Mal  Freunde  getroffen?  Max  hör  endlich  auf,  mich  für  dumm  zu verkaufen. “

Direkt  bereute  Maya  ihre  Heftigkeit.   Max  hatte  dem  nichts  mehr  entgegenzusetzen.   Er  sackte  in  sich  zusammen,  als  ob  ihm  plötzlich  der  Halt  seines  Skeletts  entzogen  worden  wäre  und  begann  leise  zu  wimmern.  

„Es  ist  wirklich  die  Diplomarbeit  schuld,  Maya.   Ich  habe  alles  geschafft,  alle Scheine,  weißt  Du,  in  Regelstudienzeit.

Vor  zwei  Monaten  habe  ich  dann  das Thema  beim  Prof.   durchgehabt.   Der  war  ganz  begeistert.   Beherrschbarkeit  von  Komplexitäten  in  der  globalen  Marktwirtschaft  heißt  es.  

„Ja  aber  das  ist  doch  toll.   Was  ist  denn  passiert?“

„Ja  zuerst  lief  es  auch  gut.   Das  war  das  erste  Mal,  dass  es mir  wichtig  war,  das  Optimale  hinzukriegen.   Ich  habe  mich  durch  eine  Vielzahl  von Fachbüchern  durchgearbeitet.   Das  Ganze  habe  ich  dann  mit  aktuellen  Untersuchungen  zu  den  Auswirkungen  des  Internets  verglichen. “

 „Ja,  und,  wo  ist  das  Problem?“ 

„Das  Problem  ist,  dass  es keine  Regeln  mehr  gibt.   Es  gibt  keine  verlässlichen  Vorhersagemuster.   Die  einzige  Regel,  die  für  mich  noch  gültig  ist,  große  Einheiten  haben  ein  größeres  Beharrungsvermögen,  kleinere  sind  innovativer,  setzen  sich  aber  oft  nicht  durch.   Weißt  Du,  eigentlich  hatte  ich  gehofft,  irgend  wo  eine  Antwort  zu  finden,  wie  man die  in  Zukunft  noch  komplexeren  Zusammenhänge  im  Griff  behält.   Inzwischen  bin  ich  sicher,  entweder  alles  bricht  irgendwann  zusammen  oder die  großen  Einheiten  in  Politik  und  Wirtschaft  werden  so  groß  und  mächtig,  dass  sie  alle  Individualität  und  Kreativität  der Einzelnen  ersticken  und  es  zum  totalen  Stillstand  kommt.   Weißt  Du,  ich  bin  damit  einfach  nicht  klar  gekommen.   Alle  taten  so,  als  ob  nichts  wäre.   Ich  kam  mir  immer  mehr  wie  jemand  vor,  der  hinter  Gittern  alle  anderen  beobachtet,  ohne  zu  wissen,  wer  vor  und  wer  hinter den Gittern  sitzt.  

Na,  ja  bei  der  Recherche  bin  ich  auch  über  die  ein  oder andere  Wirtschaftssimulationsspielseite  gestolpert.   Die  sind  heute  schon  so weit,  dass  man mit  einer  beliebigen  Anzahl  von Spielern  im  Internet  spielen  kann.   Der  Vorteil  ist,  die  Möglichkeiten  müssen  endlich  sein,  da  ja  die  Programmierer  die  Möglichkeiten  hinterlegt  haben. Irgendwie  konnte  ich  dann  nicht  mehr  aufhören  und  habe  alles  um  mich  herum  vergessen. “

Es  wurde  still.   Maya  dachte  an  ihr  eigenes  Studium.   Solche  Zweifel  hatte  sie  nie  gehabt.   Sie  hatte  das  gelernt,  was  zu  lernen  war.   Probleme  löste  sie  pragmatisch,  wenn  die  Lösungen  anstanden. Sie  hätte  Max  gerne  von den Plänen  des  FINDERS  –  Konsortiums  erzählt,  die ihr  in  ihrer  Funktion  als  Controllerin  immer  wieder  auf  den  Tisch  kamen.   Aber  die  waren  geheim.   „Max,  nach  meiner  Erfahrung  gibt  es  eine  Möglichkeit,  die  Komplexitäten  der  Zukunft  aufzulösen.   Man  muss  die Komplexitäten  eben  wieder  in  kleine  Einheiten  auflösen.   Weißt  Du,  genau  das  machen  wir  bei  FINDERS  mit  unseren  40. 000  Kategorien. “ „Ach,  jetzt  fängst  Du  auch  noch  an,  mich  mit  FINDERS  zu  bequatschen.   Paps  hat  das  schon  immer  gemacht.   Ich  kann  das  nicht  mehr  hören. “ „Max,  gib  endlich  zu,  dass  Du  es  in  den  letzten  Monaten  übertrieben  hast.   Du  bist  spielsüchtig  geworden.   Mit  FINDERS  hätte  das  verhindert  werden  können. “

„Meinst  Du  etwa  diesen  Spielfilter.   Ich  mag  keine  Zensur. “

„Der  Spielfilter  ist  keine  Zensur,  Max.   FINDERS  hat  da  viel  Geld  reingesteckt  und  er funktioniert. “  

Mittags  hatte  Maya  Max  soweit,  dass  dieser  seinem  Provider  eine  Mail  schickte  mit  der  Bitte,  den  Spielfilter  einzurichten.  

2005  hatte  FINDERS  in  Zusammenarbeit  der  Bildungs  und  Forschungskategorien – Agenturen  wie  z. B.   Mathematik  mit  den  Spielkategorien – Agenturen  den  Spielfilter  entwickelt.   Eine  Registrierung  war  inzwischen  bei  jedem  Provider  möglich.   Man  hinterlegte  seinen  Schul–  und  Berufsabschluss.   Hatte  man 45  Minuten  ein  Spiel  gespielt,  musste  man 15  Minuten  in  einem  der Ausbildung  adäquaten  Bildungsbereich  Aufgaben  lösen.   Erst  dann  wurden  die  Spiele  wieder  für  weitere  45  Minuten  freigeschaltet.

Da  die  Spielsucht  sich  in  Deutschland  immer  mehr  ausbreitete,  gab  es  auch  immer  mehr  Spielsüchtige,  die  sich  den  Filter  freiwillig  einrichteten,  nachdem  sie  eingesehen  hatten,  dass  es  so  nicht  weiterging.   Forschungen  hatten  ergeben,  Süchtige  verloren  beim  Spielen  jegliches  Zeitgefühl  und  jeglichen  Bezug  zu  ihrer  Umgebung.   Wenn  sie regelmäßig  zu  Unterbrechungen  gezwungen  wurden,  kehrte  bei  den  meisten  mit  der  Zeit  der  Realitätsbezug  zurück. Um  ehrlich  zu sein,  FINDERS  hatte  nicht  etwa  eine  soziale  Ader  entdeckt.   Vielmehr  standen  hier  hinter  wirtschaftliche  Interessen.   Der  Druck  kam  von  den  Kategorien – Agenturen  aus  dem  Forschungsbereich,  die  wesentlich  weniger  verdienten,  als  Agenturen  in  anderen  Bereichen.   Durch  den  Filter  wurde  ein  Viertel  der Einnahmen  von  den  Spielagenturen  an  die  Bildungsagenturen  weitergeleitet.   Außerdem  hatte  FINDERS  untersuchen  lassen,  dass  der  Konsum  bei  Spielsüchtigen  dramatisch  zurückging  und  damit  auch  die  Einnahmen  von  FINDERS.   Die  Quersubvention  rechnete  sich.  

Der Onlinespieler – Heidelberg –September 2006, 8. Teil, Kapitel II

Maya  war  besorgt.   Sie  hatte  jetzt  schon  mehrere  Tage  versucht,  ihren  Bruder  Max  zu erreichen.   Nie  ging  der ans  Telefon. Irgendwie  hatte  sie  sich  immer  für  ihren  kleinen  Bruder  verantwortlich  gefühlt.

Maya  Frederichs  hatte  eine  unbeschwerte  Jugend.   Als  Tochter  einer  Lehrerin  und  eines  Postbeamten  war  für  sie  eine  Beamtenkarriere  nicht  erstrebenswert.   Heute  kam  ihr  in  den  Sinn,  dass  es  wohl  gerade  die Sicherheit  der  heilen  Welt  ihrer  Jugend  gewesen  war,  welche  es  ihr  ermöglicht  hatte,  die  Ruhe  und  das Selbstbewusstsein  zu  entwickeln,  um  in  ihrem  Leben  etwas  zu  riskieren.

 Als  ihre  Eltern  den  radikalen  Wandel  in  ihrem  Leben  vornahmen,  hatte  sie  bereit  3  Jahre  Betriebswirtschaftslehre  studiert  und  befand  sich  weit  weg  in  Peking  in  einem  Praktikum.

Für  Max  muss  damals  eine  Welt  zusammengestürzt  sein.   Er  befand  sich  mitten  im  Abitur.   Ehrgeiz  war  nicht  seine  Stärke.   Auf  Grund  seiner  aufgeschlossenen  Art  hatte  er  einen  großen  Freundeskreis.   Er  hatte  immer  geglaubt,  von  der  Familientradition  bestimmt  zu sein,  Briefträger  zu  werden.   Er  fand  es  gut  so.   Denn  diese  Arbeit  war  überschaubar  und  würde ihn  nicht  an  dem  hindern,  was  er  sich  unter  seinem  Leben  vorstellte.   Das  Abitur  hatte  er  nur  gemacht,  weil  es  ihm  in  den  Schoß  gefallen  war.   Gebüffelt  hatte  er  nie. So  hatten  ihre  Eltern  auch  nie  einen  Grund,  sich  um  ihren  Bruder  zu sorgen.  

Später  waren  sie dann  voll  mit  dem Aufbau  der Kategorienagentur  beschäftigt.   Maya  war  die  einzige,  die  sah,  wie  orientierungslos  Max  anschließend  war.   Um  nicht  den  regelmäßigen  monatlichen  Scheck  seiner  Eltern  zu  gefährden,  meldete  Max  sich  2001  in  Heidelberg  zum  Studium  der  Wirtschaftswissenschaften  an. Vielleicht  war  Max  ja  so mit  seiner  Diplomarbeit  beschäftigt,  dass  er nicht  ans  Telefon  ging,  versuchte  Maya  sich  zu beruhigen.   Doch  dann  erinnerte  sie  sich  wieder  an  ihren  letzten  Besuch  bei  Max.   Sie  hatte  das  Gefühl,  dass  er  kaum  mehr  aus  seiner  Studentenbude  herauskam.  

Früher  hatte  er  ihr  immer  alles  über  seine  Freunde  erzählt.   In  einer  gewissen  Weise  stand  er  ihr  näher  als  ihr  Freund.   Mit  ihm  konnte  sie  alles  besprechen.   Aber  beim  letzten  Besuch  schien  Max  wie  ausgewechselt.   Er  sah  aus,  als habe  er in  der letzten  Zeit  nicht  viel  geschlafen.   Was  sie  am  meisten  beunruhigte,  er antwortete  auf  alle ihre  Fragen  nach  seinen  Freuden  und  der aktuellen  Freundin  nur  ausweichend.   Sie  erfuhr  nichts. 

Wieder  wählte  Maya  seine  Nummer.   Ganz,  ganz  leise  meldete  er sich  mit  einer  Stimme,  die dem Ärger  über  die Störung  Ausdruck  verleihen  wollte,  der aber  die  Kraft  hierzu  fehlte.

„Max,  warum  meldest  Du  Dich  denn nicht.   Ich  habe  mir  solche  Sorgen  gemacht. “

 „Maya?“  fragte  er,  als  hätten  er  seit  zehn  Jahre  nichts  von  ihr  gehört.

„Hast  du jemand  anders  erwartet?“  wollte  Maya  ihn  necken. Aber  Max  hatte  wohl  jeglichen  Humor  verloren.

„Was  willst  Du  denn?“

„Na,  ich  will  wissen,  wie  es Dir  geht,  Du  Dummkopf“. Spätestens  jetzt  hätte  er  schon  aus  alter  Gewohnheit  heftig  über  sie herfallen  müssen.   Er  hatte  sich  immer  fürchterlich  aufgeregt,  wenn er irgend  etwas  schlechter  konnte  als seine  drei  Jahre  ältere  Schwester  und  sie  ihn  damit  neckte.  

„Ich  bin  ziemlich  im  Stress“.

„Wegen  deiner  Diplomarbeit?“

 „He,  ach  so  ne,  das  ist  im  Moment  nicht  so  wichtig.   Sag  mal,  was  für ein  Tag  ist  denn  heute?“  

Nun  konnte  Maya  ihre  Sorge  in  der Stimme  nicht  mehr  unterdrücken:  „Max,  ich  will  jetzt  sofort  wissen,  was  los  ist.   Warum  bist  Du  so  verändert?  Warum  weißt  Du  nicht,  was  für  ein  Wochentag  ist?“

„  Schwesterchen,  sein  nicht  böse,  aber  ich  muss  jetzt  wieder,  die anderen  mögen  es nicht,  wenn ich  so lange  wegbleibe. “  Max  legte  einfach  auf.   Maya  war  fassungslos.   Dann  stiegt  Panik  in  ihr  hoch.   Sie  rieft  ihre  Sekretärin  an:“  Bitte  sag  alle  Termin  in  der  nächsten  Woche  ab“.   Sie  stiegt  sofort  in  ihr  Auto  und  fuhr  die  Strecke  von  Hamburg  nach  Heidelberg  durch.

An  seiner  Wohnungstür  klingelte  sie  Sturm.   Max  Studentenbude  lag  mitten  in  der  Stadt  in  der  Nähe  der  Schlossruine.   Die  Dachgeschosswohnung  befand  sich  im  4  Stock.   Als  er  auf  das  Klingeln  nicht  reagierte,  war  sie  kurz  davor,  die  Polizei  anzurufen.   Eine  alte  Dame  öffnete  die  Tür  und  schob  ihren  Rollator  auf  die Straße.   Die  Seniorin  war  so  auf  den  vor  ihr  liegenden  weiten  Weg  bis  zum  Bäcker  an  der  Ecke  konzentriert,  dass  Maya  unbemerkt  an  ihr  vorbei  die  Treppe  hoch  stürmen  konnte.   Die  Tür  zu  Max  Dachgeschosswohnung  war  nur  angelehnt.   Maya  hatte  sich  auf  ihrer  Fahrt  alles  mögliche  vorgestellt.   Dass  hier  Max  alleine  vor  dem  Computer  saß,  gehörte  nicht  dazu.

„Max“  rüttelte  Maya  an  ihm. Er  war  kein  bisschen  überrascht,  über  ihr  unerwartetes  Auftauchen.   “Ach  Du,  Schwesterchen,  warte,  ich  muss  das gerade  noch  fertig  machen“.

Maya  versuchte  sich  zu  beruhigen.   Sie  fand  sich  hysterisch,  was  hatte  sie  sich  nur  alles  eingeredet.

Sie  setzte  sich  auf  eine  Couch,  von der sie einen  guten  Blick  auf  den  Computerbildschirm  hatte.   Wahrscheinlich  recherchierte  Max  nur  für seine  Diplomarbeit .   Doch  dazu  passte  nicht  die  Geschwindigkeit,  mit  der  Max  in  die Tastatur  hackte.

Sie  sah  sich  den Bildschirm  genauer  an.   Im  Internetbrowser  war  so  etwas  wie  eine  Kommandozentrale  zu  sehen.   Es  gab  mehrere  simulierte  Bildschirme,  in  denen  Avatare  mit  darunter  liegenden  Texten  angezeigt  wurden.   Max  schien  mit  den Avataren  zu kommunizieren.

Maya  schaute  dem  Spielen  von  Max  eine  Stunde  zu,  ohne  dass  Max  sich  auch  nur  ein  einziges  Mal  zu ihr  umgedrehte.   Dann  wurde  es  ihr  zu  bunt:“  Max,  Du  machst  jetzt  eine  Pause,  jetzt. “ 

 „Aber. “ 

 „Kein  Aber,  Du  hörst  jetzt  auf. “

 „Aber  die  anderen  meinen,  dass  wir  uns  jetzt  keine  Pause  leisten  können,  sonst  schafft  unsere  Gruppe  das  Level  nicht  rechtzeitig“.    

Maya,  die  sich  noch  nie  mit  Onlinespielen  auseinandergesetzt  hatte,  machte  jetzt  einen  schweren  Fehler:  „Wer  sagt  was?  Meinst  Du  etwa  deine  Spielfiguren?“

 „Spielfiguren?  In  welchem  Zeitalter  lebst  Du  denn,  Maya?  Alle  sind  so  echt  wie  ich.   Die  Avatare  sind  doch  nur  ein  grafisches  Hilfsmittel  um  die  Persönlichkeit,  die  sich  der  einzelne  ausgesucht  hat,  darzustellen.   Was,  ja  natürlich. “ Die  letzten  Worte  sprach  er  schon  in  Richtung  Bildschirm  und  begann  wieder  in  irrsinniger  Geschwindigkeit  seine  Tastatur  zu  foltern.

Nach  mehreren  weiteren  vergeblichen  Versuchen,  noch  einmal  zu Max  durchzudringen,  zuckte  Maya  die Achseln  und  ging  erst  einmal  in  die Küche,  um  einen  starken  Kaffee  und  ein  kräftiges  Essen  zu  machen.   Der  Inhalt  des  Kühlschranks  stellte  sie  in  keiner  Weise  zufrieden.   Ohne  den  Versuch,  Max  zu informieren,  nahm  sie  den  Wohnungsschlüssel  und  ging  das  Nötigste  einkaufen.

Zwei  Stunden  später  waren  zehn  Speckpfannekuchen  fertig.   Max  Lieblingsessen. Seinen  Kaffee  hatte  Max  nicht  angerührt.   Unbeirrt  schüttete  Maya  den  Kaffee  weg  und  machte  einen  neuen. Sie  stellte  Kaffee  und  Speckpfannekuchen  auf  den  Tisch  und  sagte  sehr  deutlich:  “Max,  kommst  Du  jetzt  zum  Essen?“

 „Mh,  gleich“.      

Maya  wartete  noch  eine  viertel  Stunde.   Das  Essen  war  schon  fast  kalt.   Dann  zog  Sie  den Stromstecker  aus  dem  Router.   Plötzlich  wurde  Max  ganz  hektisch  und  begann  zu  heulen:  “Warum  antworten  die  anderen  denn  nicht  mehr?  So  kurz  vor  dem  nächsten  Level?“

„Max,  Du  isst  jetzt.   Ich  haben  den Stecker  aus  dem Router  gezogen. “

„Was  hast  Du?“  so  wütend  hatte  Sie  Ihren  Bruder  noch  nie  erlebt. Sie  bekam  richtig  Angst,  als  er  von  seinem  Stuhl  aufsprang.   Er  wollte  Richtung  Router  laufen.   Doch  kaum  stand  er,  da  wurde  er  weiß  wie  eine  Wand  und  klappte  zusammen.  Er  merkte  nicht,  wie  Maya  ihn  auffing  und  all  ihre  Kraft  aufbrachte  um  ihn  auf  sein  Bett  zu  legen.   Er  wehrte  sich  nicht  mehr,  als  sie  ihm  den  Kaffee  und  das Essen  einflößte.   Trotz  Kaffee  fiel  er anschließend  in  einen  traumlosen  tiefen  Schlaf  und  wachte  erst  am  nächsten  Morgen  wieder  auf.  

 

 

Auf dem Podium – Musikhuset, Esbjerg – am gleichen Tag, 17.00 Uhr, 7. Teil, Kapitel II

Fast  hätte  Shaona  eine  böse  Überraschung  erlebt.   Sicher,  es  war  zwischen  Frank  und  ihr  nichts  gelaufen.   Aber  als  Ole  seinen  Namen  aussprach,  hatte  es  schon  wehgetan,  es  würde mit  an  Sicherheit  grenzender  Wahrscheinlichkeit  bei  dem  einen  Abend  bleiben  .   Natürlich  war  Shaona  nicht  mit  ihrem  Beruf  verheiratet.   Aber  sie  hatte  einen  eisernen  Grundsatz.   Nie  Privates  mit  Geschäftlichem  vermischen,  Ole  einmal  ausgenommen.   Das  FINDERS – Konsortium  unterhielt  mit  fast  allen  europäischen  Suchmaschinenanbietern  gute  geschäftliche  Kontakte.   Aber  wenn  hier  einer  eigens  aus  den  USA  zu  einer  Podiumsdiskussion  eingeflogen  wurde,  dann  würde eine  Konfrontation  wohl  unvermeidlich  sein.   Hier  ging  es nicht  um  einen  Wettbewerb  der besten  Konzepte,  sondern  schlicht  um  wirtschaftliche  Interessen  und  Machtansprüche.

Sie  würde es  als  Vorteil  nutzen,  dass  Sie  Frank  bereits  kennengelernt  hatte.   Sie  wusste,  wie  man ihn  angehen  musste.   Hoffentlich  hatte  er  seinerseits  nicht  zu  ausgiebig  die  Teilnehmerliste  studiert.   Hatte  sie  ihm  zu  viel  über  sich  erzählt?  

Als  sie  das  Podium  betrat,  erwies  sich  ihre  Angst  als  unbegründet.   Frank  starrte  sie mit  offenem  Mund  an.   Er  sah  anders  aus  als  am  Vortag.   Seine  Haare  waren  mit  einem  Zopf  nach  hinten  gebunden.   Mit  dem  schwarzen  Maßanzug  wirkte  er  zivilisiert.   Den  erfolgreichen  Manager  mit  kreativem  Touch  nahm  man ihm  ab.   Shaona  merkte,  Frank  war  voll  damit  beschäftigt,  zu verarbeitet,  dass  die nette  kleine  Urlaubsbekanntschaft  sich  als  Podiumsteilnehmerin  auf  der Seite  der FINDERS  –Technologie  entpuppte.   Lange  hatte  sie  jedoch  nicht  Zeit,  sich  mit  Frank  zu  beschäftigen.   Sie  nahm  den für sie reservierten  Platz  ein.   Neben  ihr  saß  bereits  ein  blasser  junger  Mann.   Dieser  schob  permanent  seine  Füße  in  seinen  Schuhen  hin  und  her.   Es  sah  gerade  so aus,  als hätte  ihn  jemand  in  zu große  Schuhe  gesteckt  und  als würde er  verzweifelt  versuchen,  hierin  Halt  zu  finden. Als  sie  sich  gesetzt  hatte,  was  er  hocherfreut  und  überreichte  ihr  einen  Zettel:  

Liebe  Frau  Magu,

ich  bin  leider  auf  Grund  eines  wichtigen  Termins  verhindert.

Zu  Ihrer  Unterstützung  habe  ich  Ihnen  unseren  neuen  PR  – Referenten  Herrn  Dr.   Jakob  Perlemann  geschickt.

Mit  freundlichen  Grüßen

Willi  Kaminski  (Vorstandsvorsitzender)  

Wiederum  nickte  ihr  Nebenmann  eifrig.   Es  bestand  kein  Zweifel,  dass  er  selbst  Dr.   Perlemann  war.   Für  eine  Unterhaltung  war  keine  Zeit  mehr,  da  der  Moderator  bereits  mit  der  Einführungsrede  begonnen  hatte. Shaona  schossen  mehrere  Gedanken  gleichzeitig  durch  den  Kopf.   „War  Perlemann  in  der  Lage,  die  Interessen  des  Finders – Konsortiums  zu vertreten?  Würde  er  ihr  die  Bälle  zuspielen?  Kannte  er  überhaupt  ihre  Funktion  bei  Finders  und  dass  sie  lediglich  für  die  Semantik – Radaktion  sprechen  konnte?  Sie  fand  die  Formulierung  „Zu  Ihrer  Unterstützung“  von Kaminski  schon  reichlich  unverschämt.   Schließlich  klang  das so,  als würde sie  hier  federführend  für  die  Interessen  der  Finders  AG  sprechen  können.   Sie  wusste  nicht  einmal  genau,  welche  Verhandlungen  mit  den  Skandinavischen  Ländern  und  Konzernen  wie  Nokia  derzeit  geführt  wurden.   Andererseits  drückte  dies  möglicherweise  aus,  dass  Kaminski  mehr  Vertrauen  zu ihr  hatte  als  zu  seinem  neuen  Vertreter,  von dem sie noch  nie  zuvor  etwas  gehört  hatte.  

Nachdem  sich  alle vorgestellt  hatten,  übergab  der  Moderator  das  Wort  an  Frank  Reagan.   Dieser  hielt  eine  sehr  emotionalisierende  Rede,  welche  geschickt  jeglichen  Angriff  auf  andere  Konzepte  vermied,  aber  unmissverständlich  klarstellte,  dass  neben  der  Rankingmethode  der  Suchmaschinen  kein  weiteres  Konzept  Bestand  hätte.   Für  ihn  repräsentierten  Suchmaschinen  den  amerikanischen  Traum  von  der  unbegrenzten  Freiheit,  in  dem  jeder  vom  Tellerwäscher  zum  Millionär  werden  konnte.

Daraufhin  war  Dr.   Perlemann  an  der  Reihe.   Dieser  entschuldigte  sich  erst  einmal  für das Ausbleiben  seines  Chefs  Willi  Kaminski.   Ausführlich  schilderte  er  den  Siegeszug  des  Finders – Konsortiums  in  Deutschland  mit  dem Wirtschaftswunder,  welches  durch  die  Spezialisierung  des  deutschen  Mittelstands  hinter  einer  von  40. 000  Kategorien  ausgelöst  wurde.   Hierbei  handelte  es  sich  wohl  um  eine  Rede,  welche  für  Kaminski  vorbereitet  worden  war.  

Frank  Reagan  wurde  um  Stellung  gebeten  und  erwiderte,  ohne  direkt  auf  Perlemann  Bezug  zu  nehmen:  „Wir  in  den  USA  lehnen  jegliche  Art  von Beeinflussung  der freien  Marktwirtschaft  ab.   Eine  Aufteilung  in  Kategorien  käme  für  uns  nicht  in  Frage“. „Genauso  wenig  wie  das  Teilen  der  Einnahmen  mit  allen  am  Onlineprozess  beteiligten?“  konterte  Perlemann  viel  zu  hektisch.

„Was  macht  Perlemann  denn?“  dachte  Shaona  entsetzt.   Natürlich  ging  es  in  Wirklichkeit  darum,  ob  einzelne  globale  Player  immer  größer  wurden,  oder ein  eher  mittelständische  Spezialisten  förderndes  Konzept  alle sinnvoller  Weise  am  Onlineprozess  Beteiligten  einband. Aber  es war  doch  äußerst  ungeschickt,  dieses  Thema  auf  dem  Podium  anzusprechen.   Finders  war  insbesondere  im Ausland  darauf  angewiesen,  alle  vorhandenen  Kräfte  insbesondere  die  Suchmaschinen  in  das  Kategorienkonzept  mit  einzubinden.   Wenn  man hier  öffentlich  polarisierte  und  Feindbilder  aufbaute,  konnte  man nur  verlieren.  

Frank  Reagan  ging  in  keiner  Weise  auf  den Angriff  ein.   Vielmehr  fuhr  er  ausgerechnet  am  Beispiel  China  fort,  wie  Suchmaschinen  dazu  beitrugen,  die  Demokratisierung  voranzutreiben,  weil  immer  mehr  Informationen  für  immer  mehr  Menschen  erreichbar  würden. Als  Perlemann  zu  ihr  herüber  sah,  signalisierte  Shaona  Perlemann,  dass  sie  die  Diskussion  übernehmen  wollte.   Als  habe  er  eine  heftige  Zurechtweisung  erhalten,  zuckte  Perlemann  zusammen  und  akzeptierte.   Er  hatte  wohl  diesbezüglich  eindeutige  Anweisungen  von  der  Zentrale.

Der  Moderator  bekam  den  stummen  Dialog  mit  und  gab  Shaona  das  Wort.

Shaona  wies  darauf  hin,  dass  sie  sicherlich  auf  Basis  ihrer  Tätigkeit  nur  eine  beschränkte  Sichtweise  auf  die  Dinge  hätte.   Sie  könnte  sich  deshalb  zu großen  Visionen  nicht  äußern.   Auch  hätte  sie  leider  die USA  noch  nicht  kennengelernt.   Sicherlich  wäre  dies  ein  außergewöhnliches  Land. 

Für  sie  wäre  heute  interessant,  wie  schnell  jemand  zu  einem  Suchziel  käme  und  dass  Irreführung  und  Betrug  im  Internet  weitgehend  ausgeschlossen  wären.   Sie  persönlich  würden  Stimmen  aus  dem Publikum  interessieren,  welche  Prioritäten  die hier  Anwesenden  setzen  würden. Der  Moderator  griff  dankbar  ihren  Vorschlag  auf,  das Publikum  einzubinden.  

Auch  das  Publikum  war  mehr  an  praktischen  Lösungen  als  an  großen  Visionen  interessiert.   Die  Situation  war  gerettet.   Viele  detaillierte  Fragen  aus  dem  Publikum  erlaubten  Shaona,  ihrerseits  viele  Fachthemen  anzusprechen  und  die  Vorteile  einer  Aufteilung  des  Internets  in  Kategorien  ausführlich  zu  erläutern. Frank  warf  ihr  einen  wütenden  Blick  zu.   Shaona  war  sich  sicher,  dies  würde das  letzte  Mal  sein,  dass  der Egomane  Frank  Reagan  sie bemerken  würde.